Es gibt keine Zeit im Jahr, die so mit Gefühlen – positiven wie negativen – aufgeladen ist, wie die Vorweihnachtszeit und natürlich Weihnachten selbst. Auch Nichtchristen lässt Weihnachten nicht kalt. Wie Welt und Selbst in Herz und Hirn aufeinanderstoßen können und die Botschaft von Weihnachten auch Verzweifelnden Hoffnung schenken kann, davon erzählt Helmut Müller.

„Heile Welt“ Anfang der 80er Jahre auf dem Bonner Münsterplatz

Advent 79, 80 oder 81 auf dem Münsterplatz in Bonn. Ich weiß es nicht mehr genau. Adventliche, vorweihnachtliche Stimmung allenthalben. Irgendwie schoss mir damals ein Gefühl, eine Stimmung durch Bauch, Herz und Hirn: Alles ist gut, alles wird gut. Der Heiligabend kann kommen und findet einen mit sich und der Welt in Einklang lebenden Endzwanziger/Anfangdreißiger, männlich, vor. Wenn es 79 war, dann wurde Afghanistan am ersten Weihnachtstag nur ein sowjetisches Problem, der erste Golfkrieg ab 1980 ein Golfstaatenproblem – nachdem Ayatollah Khomeini 1979 die islamische Revolution ausgerufen hatte. Der Vietnamkrieg war kein westliches mehr, Jugoslawien war noch kein Ex-Jugoslawien, an Mauer und Stacheldraht durch Deutschland hatte man sich gewöhnt und es gab erste minimale Auflösungserscheinungen. Im ständig unruhigen Nahen Osten war Israel noch nicht im Libanon einmarschiert. Die 900 Toten im dreimonatigen Falklandkrieg im selben Jahr waren dagegen, jedenfalls für unsere Wahrnehmung, vergleichsweise Peanuts. Waldsterben begann medial erst 1980. Vom Klima war noch nicht hörbar die Rede. Helmut Schmidt war noch Kanzler. Sachverstand konnte man sogar bei Politikern finden, die man gar nicht gewählt hat.

Es war noch eine Lust katholisch zu sein

Es war noch die reine Lust katholisch zu sein mit Johannes Paul II. Die Jugend der Welt lag ihm zu Füßen. Klerikaler Missbrauch war undenkbar und wenn, dann hatten das die Nazis den Montabaurer Brüdern in den 30er Jahren untergeschoben. Und das mich am meisten Betreffende: Ich brauchte mich nur um mich selbst zu sorgen, keine Frau und keine Kinder. Das übrige Leid der Welt drang nicht bis zu mir vor. In diesem Moment, vielleicht sogar einige Momente lang, war ich, was das I. Vatikanum nur von Gott behauptete: Deus in se et ex se beatissimus est, In sich und aus sich ganz glücklich.

Eine Krise löst die andere ab ohne gelöst zu sein

Und jetzt? Als junger Mann wusste man eigentlich nicht, dass die Welt keinen Deut besser war als jetzt. Aber in diesen Tagen spürt man es sogar als junger Mensch, dass es in der Welt – wo man hinschaut – drunter und drüber geht. Ich kann die Krisen gar nicht alle aufzählen, mit denen wir es schon seit Jahren zu tun haben. Eine löst die andere in den Medien ab und wird doch nicht oder kaum gelöst. Seit Jugoslawien ist man nicht überrascht, dass nur zwei Flugstunden von Frankfurt aus Kriege stattfinden, die man etwa zu jener Zeit beim Zuklappen eines Geschichtsbuches nur noch darin zu finden glaubte.

Wie bei uns. Es begann im Mutterschoß einer Frau

Advent/Weihnachten 2023. Heute wie damals künden schon Wochen vorher Adventsmärkte mit Glühwein, der durch die Kehle rinnt und dann vom Bauch bis ins Hirn steigt, bei Christenmenschen und Nichtchristenmenschen eine – sagen wir erwartungsvolle – damals meinte ich – selige Zeit – an. Was geblieben ist: Damals wie heute glaube ich, dass es richtig ist, die sichtbare Ankunft des Herrn der Welt zu feiern. Er ist allerdings schon 9 Monate davor in dieser seiner Schöpfung angekommen, wie wir alle im Schoß einer Frau, vielleicht auch – auf die Welt geschrieen worden – Dogmatiker mögen mir das vielleicht verzeihen. Jedenfalls hat er sich selbst nicht vor aller Unbill, dem Übel dieser Welt gescheut. Er ist nicht wie in der Siegfriedssage mit Drachenblut gehärtet auf die Welt gekommen, sondern so verletzlich wie wir.

Das Holz der Krippe und das vom Kreuz sind Grund unserer Hoffnung

Wie er im Holz der Krippe zu uns in die Welt gekommen ist, so hat er sie auch am Holz des Kreuzes verlassen, blutig und schmerzvoll. Aber in der Krippe wie am Kreuz Hoffnung bringend, allen, die daran glauben, dass dieses Kind in Bethlehem, der Mann aus Nazareth und der am Galgen der Antike in Jerusalem Sterbende, der Sohn Gottes war, ist und bleiben wird. Er ist für mich der Garant, dass die paar seligen Momente auf dem Bonner Münsterplatz nicht Illusion waren und die traurige Wirklichkeit, die wir heute wahrnehmen und Menschen aller Zeiten immer wahr genommen haben, endgültig einmal in ein Sein bei Gott münden und wir an seiner Seligkeit teilnehmen dürfen, der in sich und aus sich ganz glücklich ist. So dürfen wir Weihnachten in gleich welcher Dürftigkeit voll Hoffnung feiern und begehen. Das ist mein Glaube.

Diesen Glauben findet man über die ganze heilige Schrift verteilt: Eine besonders schöne Stelle bei Jesaja 35

1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. 2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unsres Gottes. 3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!


Dr. phil. Helmut Müller

Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz. Autor u. a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe„, FE-Medien Verlag

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