Die Entwürfe zum Sterbehilfegesetz sind gescheitert. Unter dem Vorwand pastoraler Sorge signalisierte Bischof Bätzing im Vorfeld Kompromissbereitschaft und politische Flexibilität, statt das unbeugsame christliche Zeugnis gegen das Ungeheuerliche abzulegen. Ein Beitrag von Bernhard Meuser

Die Kirchen und das Sterbehilfegesetz

Seit das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert hat, ist das Scheunentor offen. „Die da oben“, von denen naive Bürger annehmen, sie wüssten schon, was richtig ist, haben sich gegen das Fünfte Gebot (Ex 20,13) entschieden. Es lautet bekanntermaßen: „Du sollst nicht töten/morden.“ Die Richter durchbrachen die sittliche Grundübereinkunft nicht nur des Christentums, sondern so vieler Völker, Religionen und Kulturen, dass das direkte Töten eines Menschen, auch wenn er todkrank ist, niemals erlaubt, gar eine sittlich „gute Tat“ sein kann. Die Richter befanden, Sterbehilfe sei unabhängig von Alter oder Krankheit legitim. Dafür dürfe jemand auch die Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen.

Entscheidende Zeiten für den Schutz des Lebens

Der Bundestag debattierte das Einreißen von Dämmen, um eventuell in feierlicher Prozession den Durchmarsch in ein neues Zeitalter zu zelebrieren. Zwei parteienübergreifende Gesetzesentwürfe lagen vor, die sich nur graduell unterschieden. Der radikalere von beiden stammt von der Grünen-Abgeordneten Renate Künast und der FDP-Parlamentarierin, Katrin Helling-Plahr. Sie machen tabula rasa, wollen die Beihilfe zum Suizid kurzerhand aus dem Strafgesetzbuch streichen. Ja, ja – es soll noch eine verpflichtende Beratung geben; danach aber darf der Arzt ein „Heilmittel“ zur Selbsttötung verabreichen. „Medikament“ kommt von lat. medicamentum, und man erinnert sich mit Schaudern daran, dass das Wort medicamentum einmal nicht nur „Heilmittel“ bedeutete, sondern auch für „Giftmittel“ und „Zaubermittel“ stand. Dieser Gesetzesentwurf stellt nicht nur die gesellschaftliche Aufkündigung des Fünften Gebotes dar; er entsorgt auch den Hippokratischen Eid – also den Ehrenkodex der Mediziner und aller Heilberufe – auf den Misthaufen der Geschichte. In diesem Eid gibt es aus guten humanen Gründen einen Passus, den die aufgeklärte Humanistenriege um die Damen Künast und Helling-Plahr für irrelevant halten. Er lautet: „Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten. Auch werde ich nie einer Frau ein Abtreibungsmittel geben. Heilig und rein werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.“ Horribile!

Dann hatten wir einen zweiten Entwurf; er stammt von einer Gruppe um den SPD-Parlamentarier Lars Castellucci. Diesem Entwurf zufolge bleibt die „geschäftsmäßige“ Selbsttötung weiterhin rechtswidrig und strafbewehrt. Aber, aber, aber, . . . es gibt Ausnahmen, die im Effekt auf das Gleiche hinauslaufen. Sterbehilfe soll nur in genau definierten Ausnahmefällen erlaubt sein. Es braucht dafür zwei Beratungen bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, die in einem zeitlichen Abstand von mindestens drei Monaten stattfinden sollen. Fazit: Wir haben es mit zwei Entwürfen zu tun, die beide die aktive Sterbehilfe erlauben. Die Haltung der Katholischen Kirche zu aktiver Sterbehilfe ist so klar, wie sie nur klar sein kann. Aktive Sterbehilfe – man sollte ruhig (in Erinnerung an dunkelste Kapitel in Deutschland) von Euthanasie sprechen – ist Ausdruck einer Kultur des Todes, eine Todsünde, die vom Reich Gottes ausschließt. Man muss aber gleichzeitig die nötige Balance beachten, indem man die Not der Schwerstkranken versteht. Das hat auf wunderbar sensible Weise der hl. Papst Johannes Paul II. getan, als er 1992 den deutschen Bischöfen ins Gewissen redete:

„Wenn es Euch gelingt, in Deutschland rechtzeitig weitere Hospize als Inseln der Humanität einzurichten, werdet Ihr verhindern, dass sich jene durchsetzen, die nur vorgeben, sterbenden Menschen zu helfen, in Wahrheit aber vor dieser Herausforderung kapitulieren, indem sie mit Todespillen Hilfe beim Sterben in Hilfe zum Sterben pervertieren. Der sterbende Mensch will keine Tablette, um dann alleingelassen zu werden, sondern echte Hoffnung, menschliche Nähe und eine haltende Hand.“

Der windelweiche Einspruch der Kirchen

Dass die EKD herumeiern würde, war abzusehen. Dort konnte man sich nicht einmal dazu durchringen, die Totalamputation des Künast-Entwurfes als das abzulehnen, was er ist: eine unverhüllte Absage an die menschheitliche Geltung des Fünften Gebots, seine Transformation in ein „Du darfst!“ In seiner Stellungnahme von Ende Juni bekundete der Rat der EKD , es dürfe „nicht zur gesellschaftlichen ‚Normalität‘ werden, sich das Leben zu nehmen oder anderen dabei zu helfen“.  Goldig! Wer will denn so was?

Überraschend ist nun doch, wie windelweich und charakterlos die Katholische Kirche in Deutschland reagiert. Zwar versucht sich Georg Bätzing in einer Mischung aus Pastoral und staatsmännischer Ausgewogenheit am Positiven:

„Wir müssen als Gesellschaft darauf achten, dass keine Situation entsteht, in der ein älterer oder kranker Mensch oder ein Mensch in einer existenziellen Krise eher eine gute Infrastruktur der Suizidassistenz vorfindet als ausreichende und angemessene Rahmenbedingungen, um sich vertrauensvoll in Pflege zu begeben, Hilfe zu erhalten und Hilfe anzunehmen.“

Das ist richtig, aber in dieser Stunde absolut zu wenig. Es ist Ausdruck einer pastoral maskierten Feigheit. Wo es eines christlichen Zeugnisses des Widerstands gegen das Ungeheuerliche bedurft hätte, kommt ein jämmerliches „Jein“ . . . Der Skandal im Skandal: Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz verbeißt sich das klare Nein der Heiligen Schrift und der gesamten ethischen Lehrtradition der Kirche. Bätzing und die Bischöfe hätten die Courage für ein „Never! Nein! Niemals!“ aufbringen müssen. Ihnen hätte das Rückgrat und die christliche Zivilcourage zuwachsen müssen zu sagen: „Weder/noch!“ –  Nicht Künast! Nicht Castellucci! Man ahnt, was da gespielt wird. Die Herrschaften möchten im Geschäft bleiben, möchten die politischen Partner nicht verprellen. Also sprach sich Bätzing für die Mogelpackung – den Castellucci-Entwurf – aus. Der assistierte Suizid dürfe nicht zur „selbstverständlichen Form der Lebensbeendigung“ werden; das stehe im Widerspruch zur christlichen Vorstellung einer „Kultur der Lebensbejahung und der gegenseitigen Fürsorge“.  Das ist goldig auf katholisch! Wer will das nicht?!

Die beiden Großkirchen dürfen sich nicht wundern, wenn ihnen die Menschen in hellen Scharen von der Fahne gehen. Mit Langmut und Geduld warten wir auf Bischöfe, die noch im Auge behalten, dass sie eines Tages nicht nach ihrer Kompromissbereitschaft und ihrer politischen Flexibilität befragt werden, sondern nach der Vollständigkeit ihrer Verkündigung und der Integrität ihres Zeugnisses. Es sollte – so träumen immer mehr Christen – Bischöfe geben, die sich daran erinnern, dass der Herr wiederkommt, was mit Turbulenzen verbunden ist, wie es in Lk 21,12 zum Ausdruck kommt:

„Bevor das alles geschieht, wird man Hand an euch legen und euch verfolgen. Man wird euch den Synagogen und den Gefängnissen ausliefern, vor Könige und Statthalter bringen um meines Namens willen.“

Es könnte sein, dass es geschichtliche Situationen gibt, in denen man auf Sektempfänge verzichten muss.


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.

 

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