Die Fastenzeit soll eine besinnliche Zeit sein. Helmut Müller schlägt vor in dieser Zeit einmal das eigene Leben zu durchleuchten in seinen Höhen und Tiefen im Rosenkranzgebet, der Perlenkette zu Gott, damit wir nicht im Leid der Welt versinken, sondern die Heilszusage Gottes ergreifen und sich in diesem Gebet zu ihm hinziehen lassen.

 

„Meister lehre uns beten“ (Lk, 11,1)

Vielleicht ist es uns schon einmal so gegangen wie den Jüngern: Wie richtig beten? Jesus hat auf die Frage der Jünger mit dem Vater unser geantwortet. Seit dem Hl. Dominikus hangeln sich aber auch Beter an der Perlenkette des Rosenkranzes über das Vater unser, das uns Jesus gelehrt hat, im Strombett des Gegrüßet seist Du Maria, zu Gott.

Papst Paul VI. hat über den Rosenkranz gesagt, er sei die Kurzfassung des Evangeliums, d. h. die Frohbotschaft, anders gewendet, das Wort Gottes an die Menschen, wie wir heil werden. Das Rosenkranzgebet versucht, die Sehnsucht des Menschen heil zu werden in einem Dialog mit Gott in Worte zu fassen. Lob, Dank und Bitte sind die Elemente dieses Dialogs. Die Antwort Gottes in diesem Dialog ist schwer zu beschreiben und nur im Beten selbst zu erfahren, als Erleichterung, Beruhigung, weiter geduldiges Ertragen, aber auch weiterhin verzweifeltes Bitten.

Solange es einem gut geht, spürt man vielleicht gar keine Neigung zu beten. Geht es einem aber schlecht, dann weist das Sprichwort „Not lehrt beten“ schon darauf hin, dass das Lernen zu beten dann leichter fällt, da man den Sinn überhaupt begreift. Besser ist’s natürlich, wenn man schon vorher Beten gelernt hat und das Gebet nicht benützt wie einen Fallschirm, indem man die Reißleine zieht, um eine Bruchlandung zu vermeiden.

Das Rosenkranzgebet zieht Zeit in die Ewigkeit

Es geht also darum, im Gebet unser existentielles Menschsein in seinen Wünschen, Sehnsüchten, Freuden, Gebrochenheiten und dem vermeintlichen endgültigen Aus zu begleiten. In den jeweiligen Gesätzen werden anthropologische Grundbefindlichkeiten aufgerufen. Der Rosenkranz verknüpft diese Grundbefindlichkeiten mit der biblischen Verheißung, verknüpfen Zeit mit Ewigkeit.

Einfache menschliche Bilder, Schwangerschaft, Geburt, Sorge, Not, Schmerz, Angst aber auch Jubel und Freude werden zusammen mit der Verheißung aufgerufen oder verknüpft. Die Gesätze des Rosenkranzes verstärken das Schöne, ziehen die Zeit hinaus in die Ewigkeit; das Gebrochene und Leidvolle der Zeit heben die Gesätze andererseits auf in die Ewigkeit; oder anders gewendet: wir schauen das Schöne im Leben im Rosenkranz an, während wir das Schwere im Leben im Rosenkranzgebet ertragen.

Menschliche Existenz im Strombett des Ave Maria

Im Strombett des Ave Maria „transportieren“ wir unser Lob, unseren Dank und unsere Bitten zum Dreifaltigen Gott. Mit dem Ave Maria beginnt Gott selbst in unüberbietbarer Weise seine leibhaftige Geschichte mit uns Menschen in Gestalt einer jungen Frau aus Nazareth, wider alles zeitgenössische Verständnis, dass aus Nazareth nichts Gutes kommen könne (vgl. Joh 1,46) . Der Engel Gottes setzt sich darüber hinweg mit seinem Gruß: „Gegrüßet seist Du Maria“. Unmittelbar darauf folgt eine Verheißung, „voll der Gnade“, und dann ein Beistand: „Der Herr ist mit Dir“, Gott ist bei dir, Gott will in dir sein. Das sind die ersten Worte des Ave Maria. Es wird fortgesetzt im Rosenkranzgebet durch den Gruß ihrer Base Elisabeth: „Du bist gebenedeit, gesegnet unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“

Der Beginn der neutestamentlichen Heilsgeschichte mit dem Gruß des Engels pflanzt sich wie ein Refrain durch das ganze Rosenkranzgebet fort. 50 mal wird der Gruß des Engels, die Botschaft, dass sich Gott mit dem Menschen einlassen will, wiederholt. Die Freude dieser Botschaft umfängt die weiteren Stationen des Heils Gottes mit den Menschen. Es sind markante Sätze, in denen die Kirche der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth gedenkt. Das freudige, wie das schmerzensreiche Gedenken werden refrainartig getragen von dem Gruß Gottes an die Menschen in der Gestalt Marias. Einem trostlosen Versinken in Traurigkeit und Leid bei der Betrachtung der schmerzensreichen Geheimnisse wird durch den 50 fachen Gruß des Engels vorgebeugt.

In das Leben Jesu einschwingen und nicht in seinem Schrecken untergehen

Die 15 Gesätzchen wollen in ihrer markanten Formulierung das Mensch gewordene Heil Gottes in Jesus von Nazareth betrachten. Was aus dem Schoß Marias als der Vertreterin des Menschengeschlechts, wie wir selbst, emporwächst, soll für uns im Laufe des Gebets zur Identifikationsfigur werden. Alles, was Jesus geschieht, geschieht uns, steht uns bevor. Im Falle Jesu von Nazareth glauben wir, dass der allmächtige Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde, in seinem Sohn ohnmächtiges Kind geworden ist, ohnmächtig wie wir, aber zur Liebe hin geschaffen, zur Freude fähig, und Leid und Tod unterworfen ist. Im Osterereignis glauben wir jedoch, dass er letztlich alle Ohnmacht hinter sich lässt und uns – in Gestalt seiner Mutter – mit sich nimmt – und uns in Herrlichkeit bei sich wohnen lässt.

Von dieser Solidarität Gottes mit den Menschen im Leben Jesus von Nazareth lebt das Rosenkranzgebet. Es lädt uns ein, aufgrund dieser Identität in Gebet und Kontemplation in das Leben des Nazareners einzuschwingen, nicht in seinem Schrecken unterzugehen, sondern uns von dem ständigen Refrain des Engelsgrußes tragen zu lassen und sich im fünfmaligen Vaterunser der Allmacht Gottvaters in der Ohnmacht unseres Lebens zu versichern. Die freudenreichen Geheimnisse tragen sich selbst. Ich will nur einmal den Beginn des Rosenkranzgebetes in existentiellen Bildern, wie sie insbesondere Eltern erfahren können, ausmalen:

Der freudenreiche Rosenkranz – Gott wird Mensch

Den du o Jungfrau vom hl. Geist empfangen hast

– der faszinierende Beginn neuen, menschlichen Lebens. Unser Leben hat zwar nicht begonnen, wie wir das von Jesus glauben. Wir sind unbegreifliche Mischwesen von unten herauf und von oben herab, letztes Glied einer unendlichen Kette, deren Anfang wohl irgendwo in den unbegreiflichen Kräften der Materie wurzelt, aber auch einzigartig in unserer leiblich-geistigen Gestalt, deren Bild – wie wir glauben – von Gott selbst genommen ist.

Unbegreifliches von unten herauf und von oben herab

– Bevor wir davon wussten, hat bei der Geburt unserer Kinder ganz unscheinbar etwas begonnen, was im Prinzip die Welt bewegen kann. In unvorstellbarer Weise schon mit allen Möglichkeiten ausgestattet, die einmal Wirklichkeit werden wollen. Unabsehbar darin, was sich nach und nach enthüllt. Wir dürfen, ja wir müssen dieses beginnende Leben begleiten. Ohne dieses Begleiten oder ein falsches Begleiten könnte ein Drogenkonsument von der Straße aus diesem beginnenden Leben werden.

Jemand, der mit sich und der Welt nichts anzufangen weiß, oder schlimmer, eine Ausgeburt der Hölle wie es in der Menschheitsgeschichte allzu oft vorgekommen ist, aber auch etwas ganz anderes: ein Geschenk des Himmels an die Erde wie Mutter Teresa, ein Feuergeist wie Paulus, oder – ganz unspektakulär – ein Dutzendgesicht wie morgens in der U-Bahn oder im Bus. Für uns als Vater und Mutter jedenfalls etwas ganz Einzigartiges, ein Wesen in dem zwei, eines geworden sind. Etwas Unbegreifliches von unten aus der Materie herauf und von oben, von Gott herab, aus der Tiefe der Zeit, berufen in ebenso unbegreiflicher Weise für die Zeitlosigkeit der Ewigkeit.

Aus einem Klümpchen Schleim baut sich der Geist in neun Monaten ein Zuhause

– Ungeahnte geistige Potenzen zunächst in einem Klümpchen Schleim, aus dem der Geist sich im wahrsten Sinne des Wortes in neun Monaten eine Wohnung bereitet. All dies ganz unsensationell erstmals angekündigt durch die Verfärbung eines winzigen Blättchens beim Schwangerschaftstest, aber dann immer deutlichere Zeichen seiner Existenz von sich gebend am Leib und im Befinden seiner Mutter. Mit der Geburt ans Licht der Welt kommend und dann immer mehr als Selbst, als Ich, mit einem Namen in Zeit und Raum, in die Gemeinschaft von Menschen tretend.

All das gezeugt in einem Moment innigsten Beisammenseins, tiefsten Glücks und höchster Freude. Gebe Gott dass Du – noch namenloses Menschenkind, unser Kind, alle Verwandlungen, die dir bevorstehen so durchläufst, dass Du am Ziel erreichst, was wir in der Sekunde Deiner Herauf- und Herabkunft empfunden haben.

Den du o Jungfrau zu Elisabeth getragen hast

– das Bild zweier schwangerer Frauen steht vor uns. Zwei Mal inkarnierte Zukunft, wie sie jede menschliche Gesellschaft seit Beginn der Menschheit braucht. Leben, das Leben in sich trägt. Bergend und freudig seine Ankunft erwartend. Der letzte Prophet des alten Testamentes Johannes der Täufer begegnet im Mutterleib Elisabeths der Erfüllung seiner Prophezeiung im Schoß Mariens.

Den Du o Jungfrau geboren hast

– das neue Leben ist da. Unbegreiflich, faszinierend wunderbar. Aus uns selbst, aus unserer Liebe schlägt neues Leben Wurzel in dieser Welt, fasst Fuß hier auf Erden, wächst und blüht, dazu berufen mit uns einmal bei Gott zu wohnen.

Den du o Jungfrau im Tempel aufgeopfert hast

– wir bringen das neue Leben vor Gott. Erbitten seinen Segen inmitten der Gemeinschaft in der es aufwachsen soll, damit es wächst und gedeiht, auf den Wegen dessen gehend, der der Weg, die Wahrheit und das Leben selbst ist.

Den du o Jungfrau im Tempel wieder gefunden hast

– wir hoffen, dass unsere Kinder, ja wir selbst unser Leben nicht verfehlen und immer wieder gefunden werden, oder uns selbst wieder finden dort wo unser Leben allein gelingen kann, bei Gott.

Der schmerzensreiche Rosenkranz – Gott ergeht es wie Menschen

Unser Leben ist keine reine Freude, die 4 faustischen Weiber (Faust, Teil II) Not, Mangel, Sorge und Schuld lagern an jedem Lebensweg.

  • Der für uns Blut geschwitzt hat
  • Der für uns gegeißelt worden ist
  • Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist.
  • Der für uns das schwere Kreuz getragen hat
  • Der für uns gekreuzigt worden ist

Angst, Schmerzen, Spott, Leid und Tod – die Themen des schmerzensreichen Rosenkranzes – werden auch uns heimsuchen. Davon wollen wir uns nicht niederdrücken, erschlagen oder – neudeutsch – platt machen lassen. Wir erinnern uns, die schmerzensreichen Geheimnisse sind eingebettet in den 50 fachen Engelsgruß und in die fünfache Anrufung der Allmacht Gottes, das kann einen Christen mit Friedrich de la Mott-Fouqué sprechen lassen:

Wenn alles eben käme,
wie du gewollt es hast,
und Gott dir gar nichts nähme
und gäb‘ dir keine Last,
wie wär’s da um dein Sterben,
du Menschenkind, bestellt?
Du müßtest fast verderben,
so lieb wär‘ dir die Welt!

Nun fällt – eins nach dem andern –
manch süßes Band dir ab,
und heiter kannst du wandern
gen Himmel durch das Grab;
dein Zagen ist gebrochen,
und deine Seele hofft.-
Dies ward schon oft gesprochen,
doch spricht man’s nie zu oft.

Die glorreichen Geheimnisse – Menschen ergeht es wie Gott

-Die letzte Strophe lebt schon von den glorreichen Geheimnissen, von dem „Himmel“, den wir nur durch das „Grab“, also Leid und Tod erreichen.

Der von den Toten auferstanden ist 

– mit Paulus glauben wir „gesät wird in Vergänglichkeit – auferweckt in Herrlichkeit“  – „Wenn wir weiter nichts sind als Leute, die nur in diesem Leben ihre Hoffnung auf Christus gesetzt haben, so sind wir die bedauernswertesten unter allen Menschen.“ (1Kor 15,19)

Der in den Himmel aufgefahren ist

– keine endlose Seelenwanderung, vom Wurm in den Affen, und vom Affen in den Menschen und von dort ins Nirvana ist unser Glaube, sondern wir glauben an eine nicht mehr endende Gemeinschaft mit Gott.

Der uns den hl. Geist gesandt hat 

– solange wir nicht in dieser endgültigen Gemeinschaft leben ist uns der Beistand Gottes verheißen

Der dich o Jungfrau in den Himmel aufgenommen hat

– Maria als Stellvertreterin des Menschengeschlechts ist das geschehen, was uns allen verheißen ist. Wenn wir wie sie an ihn glauben, wie sie ihn aufnehmen „Herr wie soll dies geschehen“ aber auch „Mir geschehe wie du gesagt“, dann werden wir auch wie sie in Gemeinschaft mit Gott leben

Der dich o Jungfrau im Himmel gekrönt hat 

– diese Gemeinschaft mit Gott wird die Krönung unseres Lebens sein, die endgültige Erfüllung unserer kontingenten Menschennatur

Entlang der Perlenkette bei Gott ankommen

All diese Ausformungen existentiellen Menschseins entstehen nicht während des Betens selbst. Je reicher unsere Erfahrung von Leben ist in seinen Höhen und Tiefen, desto mehr kann davon während des Betens einschwingen. Es können nur Anregungen sein, das Leben mit Herzblut zu leben, in seine Tiefen und Höhen zu steigen, nicht an der Oberfläche zu bleiben, vor allen Dingen das Staunen nicht zu verlernen, sich nach Möglichkeit eine gewisse Unverbrauchtheit zu bewahren, sich so lange wie möglich freuen zu können wie ein Kind.

Aber auch dem Leid nicht aus dem Weg zu gehen, Ängste nicht zu verdrängen, sondern sie ausfürchten, jedoch in der Gewissheit, dass eine hoffnungslose Angst und ein endgültiger Tod für einen gläubigen Christen gegenstandslos sind, auch wenn wir psychisch, gemüthaft öfter in solche Situationen kommen. Ein eifriger Rosenkranzbeter wird diese Ängste im 50 fachen Engelsgruß und dem fünffachen Anrufen des allmächtigen Gottes, unseres ewigen Vaters, auszufürchten wissen und manchmal auch niederringen müssen, aber es auch können und wird schon hier im Strombett des Ave Maria begleitet werden.


Dr. phil. Helmut Müller
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag, Link: https://www.fe-medien.de/hineingenommen-in-die-liebe

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