Dass Papst Benedikt auf seinem Sterbebett gesagt hat: „Signore, ti amo!“ wollte ich lange nicht glauben. Es ist so ein intimes Wort, so ungeschützt, so final. Ein Kind kann das sagen. Oder eine Geliebte zu ihrem Geliebten im Moment der Offenbarung. Nun scheint sie wahr zu sein, die Nachricht, die eine argentinische Nachrichtenagentur unter Berufung auf den engsten Kreis des verstorbenen Papstes verbreitete – und sie rührt die tiefsten Tiefen in meiner Seele an.

Wir leben in einer Zeit, in der törichte Theologen von Gott als einem „Gerücht“ sprechen und von Jesus nur in der Vergangenheitsform. Und dann das … – „Jesus – ich liebe dich!“ Alle, die in den letzten Jahren mit dem emeritierten Papst waren, bezeugen, dass er die Phase des über Gott Sprechens und Denkens überstieg, – dass er „im Gebet“ und am Herzen der Dinge war. „Schließlich“, so führte Benedikt einmal über das Jesusgebet aus, „wird das Gebet sehr einfach, einfach das Wort ´Jesus´, eins geworden mit unserem Atem.“

„Deus caritas est“

Tausend Kommentare über das äußere Wirken des verstorbenen Papstes, – und kaum einer, der an dieses letzte, alle Grenzen der Konfessionen transzendierende, uns alle bekehrende Geheimnis rührte. Christentum ist Liebe – „Deus caritas est“, lautete eine bedeutende Enzyklika Benedikts – und Liebe scheint am Ende eines großen Lebens in der einfachsten denkbaren Form auf: von Du zu Du.

So versteht man den Roten Faden in der Lebensgeschichte des Mannes, der über Augustinus forschte und immer wieder an dessen Wort zu Beginn der Confessiones erinnerte: „Denn du hast uns auf dich hin geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir“. Sein Leben war eine lange Herzensreise hin zum Auge-in-Auge mit Jesus.

Das Herz spricht zum Herzen

Und da war dieser andere Große, den Papst Benedikt verehrte: John Henry Newman, dessen Lebensmotto das „Cor ad cor loquitur“ (das Herz spricht zum Herzen) war. Auch an ihm faszinierte Benedikt das „Verständnis des christlichen Lebens als Berufung zur Heiligkeit, die als der sehnliche Wunsch des menschlichen Herzens erfahren wird, in innige Gemeinschaft mit dem Herzen Gottes zu gelangen.“ Und so fasste Benedikt den vergessenen, verdrängten Kern christlichen Lebens in immer neuen spirituellen Lektionen zusammen:

„In der Liebe verbirgt sich das Geheimnis des Gebetes, der persönlichen Kenntnis Jesu: ein einfaches Gebet, das allein danach strebt, das Herz des göttlichen Meisters zu berühren. Und so öffnet man das eigene Herz, lernt von Ihm seine Güte, seine Liebe. Nutzen wir also diesen »Aufstieg« des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe; so werden wir zum wahren Leben gelangen.“

So sehr Benedikt eine Koryphäe der Wissenschaft war, so rational er war, so sehr er die Vernunft schätzte und nichts auf sie kommen ließ, so sehr verwies er das Denken, Argumentieren, Wissen und Erklären auf einen nachrangigen Platz:

„Um Diener im Dienst des Evangeliums zu sein, ist das Studium verbunden mit einer sorgfältigen und ständigen theologischen und pastoralen Bildung gewiss nützlich und notwendig; noch notwendiger aber ist jene ´Wissenschaft der Liebe´, die man nur im ´Herz-an-Herz-Sein´ mit Christus erlernt.“

Mit Jesus gehen

Als Benedikt neben seiner aufreibenden Tätigkeit sich die Zeit nahm, ein dreibändiges Werk über Jesus zu schreiben, nahmen ihm das viele übel. Ein unverbesserlicher Professor, hörte man. Man wird sehen, dass es vielleicht gerade dieses „Outperforming“ war, das ihm sein Herr auferlegte – etwas zu schreiben, das alle Getauften in ihrer eigentlichen, universellen Berufung anrührte: bei Jesus zu sein, mit ihm zu gehen, ihm zu begegnen. Benedikt hat große Verdienste um „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999, die einen Jahrhunderte alten konfessionellen Streit beendete. Die kühne Jesusökumene seiner Jesusbücher aber war vielleicht das eigentliche Bahnbrechende seiner ökumenischen Bemühungen. Einmal sagte Benedikt:

„In Jesus Christus zu sein bedeutet, schon einen Platz im Himmel zu haben. Im Herzen Jesu ist der wesentliche Kern des Christentums ausgedrückt; in Christus ist uns die ganze revolutionäre Neuheit des Evangeliums offenbart und geschenkt worden: die Liebe, die uns rettet und uns schon in der Ewigkeit Gottes leben lässt. Sein göttliches Herz ruft also unser Herz; es lädt uns ein, aus uns selbst herauszugehen, unsere menschlichen Sicherheiten aufzugeben, um uns ihm anzuvertrauen und seinem Beispiel folgend uns selbst zu einer Gabe der vorbehaltlosen Liebe zu machen.“


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.

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