Weihnachten ist das Fest des neuen Anfangs. Der neue Adam erscheint unter den Kindern des alten. So fängt der Vater neu mit uns an. Zündet ein Licht in der Welt an, das nicht mehr verlischt.
Nur einen Augenblick gab es, an dem die Macht des Todes das Licht dieses Anfangs in der Undurchdringlichkeit seiner Finsternis zu verschlingen drohte. Der am Kreuz Hingerichtete wird ins Grab gelegt. In dieses Grab auch alle Hoffnung auf den messianischen Anfang, der bleibt, der nicht vergeht, der der vergreisenden Welt die Offenheit auf die königliche Herrschaft des endgültigen Lebens einsenken sollte. Aus. Vorbei.
Aber an Ostern wird die weihnachtliche Erscheinung des neuen Anfangs endgültig. Seitdem ist er da und nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Wer sich ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe öffnet wird selber neu, „neue Schöpfung“ – wie Paulus sagt. Der menschgewordene Sohn Gottes, Jesus von Nazareth, durch das Pascha seines Todes hindurch als Auferstandener und Herr zur Rechten des Vaters erhöht, ist selbst der endgültige neue Anfang. Von ihm geht immerzu die Neuheit des Lebens aus, die die Kraft hat, alles zu verwandeln, das sich von ihm berühren lässt.
Das Ja der Jungfrau Maria
Neun Monate und eine Ewigkeit vor dem Erscheinen des Anfangs in der Welt, als Mensch unter Menschenkindern in Bethlehem in Judäa, liegt der Ursprung des Anfangs: Im Ratschluss des Vaters und im Ja der Jungfrau Maria – vermittelt durch Gabriel, den gesendeten Boten des Himmels, vom Thron der Herrlichkeit, vor dem er steht, hinabgestiegen in ein galiläisches Nest namens Nazareth. Wen Gabriel ankündigt, das ist der schöpferische Kommunikator aller neuen Anfänge, es ist der Heilige Geist, der die Jungfrau überschatten wird, wie die Herrlichkeitswolke JHWHs die Lade des Bundes im Offenbarungszelt.
Denn Maria, die Jungfrau, ist bestimmt zur neuen Bundeslade. Durch die Schöpferkraft des Geistes wird der Schoss der Jungfrau fruchtbar, so dass der Anfang der neuen Schöpfung in ihr beginnen kann als ein Menschenkind, in dem Gott ganz bei uns ist. Alle guten Anfänge zuvor sind Vorspiele, alle geistlichen Anfänge danach Auswirkungen dieses entscheidenden Anfangs, in der die vergreisende Welt sich zur Neuheit des Lebens gewendet hat.
Neu-Anfang ist Erlösung
Anfang. Das ist also ein Wort, das das Geheimnis Jesu und mit dem Geheimnis Jesu das Geheimnis unserer Erlösung in sich fasst. Neuer Anfang, neu anfangen können, neue Möglichkeiten zugespielt bekommen, das klingt tatsächlich wie Erlösung, wenn sich Möglichkeit in die brutale Härte der getanen Faktizität verwandelt hat, unentrinnbar, erstarrend, vergreisend, die Verheissung des Lebens verzehrend, besonders wenn die Faktizität das Gesicht der vertanen Möglichkeit, gar der Schuld zeigt.
In der Welt, wie wir sie kennen, gibt es aber keine absoluten und endgültigen Anfänge, immer nur relative und vorläufige und vor allem keine, deren bleibende Neuheit wirklich ins Freie und Offene gegenüber dem Vergehen führen. Nur der Gott des Lebens, der sich endgültig vergebend zusagt, der in die aufgezehrten Möglichkeiten und die unentrinnbare Faktizität der Schuld, uns die neue und endgültige Möglichkeit des Lebens zuspielt: Er selbst ist der neue Anfang, den wir ersehnen. Gott mitten unter uns als endgültiger Anfang des neuen und endgültigen Lebens – den Immanuel, Gott-mit-uns, feiern wir an Weihnachten. Und dieser absolut Lebendige wird uns in Jesus nachgehen bis in den Tod unserer Verlorenheit hinein. Und daran wird der Tod endgültig sterben.
Von Gott hin zu Gott
Neuer Anfang. So heisst auch unsere Initiative. Das sagt also: Nur die Neuheit Gottes vermag die Kirche wirklich zu erneuern. Wirkliche Reform muss von dieser steten Neuheit Gottes ausgehen und zu ihr zurückführen. Wir können nur die Instrumente dieser Neuheit sein, indem wir uns immer tiefer dem neuen Anfang, den Gott immer wieder setzt und setzen will, öffnen. Das ist das Gegenteil von Eskapismus. Es ist der Realismus, der mit der Realität des alles neu machenden Gottes rechnet. Den alles andere folgt daraus. In diesem Sinne: Gesegnete Weihnachten!
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.