Die Kirche in Deutschland befindet sich in einer Krise. Das allein ist weder eine neue Erkenntnis – noch an sich etwas Neues. Dass wir in einer Krise sind, wird von Vertretern der Medien mindestens genauso oft betont, wie von Kirchenvertretern und -mitgliedern. Und neu an sich ist der Zustand der Kirchenkrise auch nicht; die Kirchengeschichte ist so voll davon, dass sich eher die Frage stellt, ob die Kirche jemals nicht in der Krise war.

Neu ist allerhöchstens, dass es eine zunehmende, unheilige Allianz zwischen kirchenkritischen Medien, Priestern und Bischöfen gibt, die den schwarzen Peter der Rechtgläubigkeit nunmehr allein dem Vatikan zuschieben. Das zu analysieren ist allerdings nicht das Anliegen dieses Textes. Vielmehr gilt es angesichts des Sturms, in dem sich die Kirche in unserem Land befindet, einen Schatz zu heben: Den Reichtum der Erfahrung einer Kirche, die noch größere Krisen überlebt hat und daran gewachsen ist. Was ist also zu tun, um im Sturm zu überleben?

Ein Überlebenshandbuch von Peter van Briel

 

Die Kirche braucht immer Reformen. Aber welche?

Wie immer in einer Zeit der Verwirrung hilft es, einen Schritt zurückzutreten und zu fragen: Worum geht es wirklich? Was sind wirklich Ursachen – und was hilft tatsächlich?

Worum geht es wirklich? Wollen wir etwas am Rückgang des Glaubens, der Gottesdienstbesucherzahl und der Bedeutung der Kirche ändern? Was sind die Ursachen für diese Entwicklung, die sich kontinuierlich seit den 60er Jahren vollzieht?

Der selbstauferlegte Auftrag des «Synodalen Weges» beispielsweise besteht nicht in der Wiederbelebung der Kirche angesichts der Verdunstung des Glaubens (weshalb die «Synodalen» sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, sich mit der vom Papst Franziskus vorgeschlagenen Neu-Evangelisierung zu beschäftigen). Sowohl der «Synodale Weg» als auch die medial ausgebreitete Diskussion behauptet, sich mit den nötigen Schritten zu beschäftigen, damit die Verbrechen, die in der katholischen Kirche begangen wurden, in Zukunft konsequent verhindert, bestraft und aufgearbeitet werden. Dazu verfolgen die Akteure genau die jahrzehnte-alte Agenda, die letztlich zur jetzigen Krise geführt hat.

Reform der Mentalität, nicht des Glaubens

Zur Erneuerung des kirchlichen Glaubens bedarf es einer Reform der Mentalität. Und zwar aller Getauften – nicht nur derjenigen «da oben». Das heißt, wir retten die Kirche nicht, indem wir Forderungen an andere erheben, sondern indem wir uns wandeln. «Herr, erwecke Deine Kirche und fange bei mir an!» ist ein ehrliches und nötiges Gebet.

Derek Scally, der Autor des Buches «Die besten Katholiken der Welt», der sich kritisch mit den Missbrauchsfällen in Irland auseinandersetzt, kommt zur Erkenntnis, dass es nicht nur die Hirten, Oberhirten und Amtsinhaber gewesen sind, die in den schlimmsten Zeiten weggeschaut haben. Ganze Gemeinden, Gruppen und Verbände haben wider besseren Wissens geschwiegen. Schuld hätte das ganze Gottesvolk – vielleicht sogar die ganze Gesellschaft. Die Bischöfe glaubten, gegen den allgemeinen Trend der Zeit, «Barmherzigkeit triumphiere über Moral», nicht anregieren zu dürfen. – Das ist keine Entschuldigung, sondern ihr Anteil an der großen Schuld.

Während also die frühere Angleichung an den Zeitgeist mit-ursächlich für die heutige Vertrauenskrise ist, klingt die jetzige Forderung, sich nun der Welt und dem dort zu entdeckenden Geist mehr zu öffnen, wie Hohn. Und doch geschieht es. Gerade, vor unseren Augen.

Erwarten wir also von den momentanen Rettungsversuchen der Kirche keinen Erfolg. Nicht nur die Agenda ist fatal (sie verstärkt die Ursachen der Krise), auch die Selbstbezeichnung («synodal») ist irreführend. Zudem sind die mittlerweile schriftlich fixierten Reformvorschläge im Grunde der Ruf nach einer anderen Kirche, die nicht mehr katholisch ist. Eine «Überlebensstrategie» (auch die hier vorgestellte) ist kein spiritueller Egoismus. Denn wer sich selbst tiefer verwurzelt, wandelt sich. Und erneuert dadurch auch die Kirche.

Das Heil von «den anderen» zu erwarten, ist ein Grundfehler der Spiritualität. Und auf «die-da-oben» zu warten ist der Nährboden des Populismus. Uns dagegen soll es darum gehen, diese Fehler zu vermeiden und das Gute in uns zu verstärken.

 

Fünf kluge Dinge verstärken, fünf törichte Dinge vermeiden

Meine ganz persönlichen Empfehlungen gliedern sich in «fünf mal verstärken» und «fünf mal vermeiden». Fangen wir zunächst mit dem an, wovon wir mehr tun sollten.

Verstärken

1. Die richtigen Reformen angehen

Wer sich skeptisch gegenüber den Beschlüssen des «Synodalen Weges» äußert, wird oft als jemand eingeordnet, der gegen alle Reformen sei. Als jemand, der die Kirche zwar retten will, aber in der Gestalt der Volkskirche des letzten Jahrhunderts.

Um dieses Entweder-oder-Denken auszuhebeln, müssen wir viel mehr von den wahren Reformen sprechen, die wir im Unterschied zum «Synodalen Weg» angehen wollen.

Wenn doch klar ist, dass die Aufhebung des Zölibates, die Zulassung der Frauen zu Priestertum, eine allgemeine Bischofswahl durch das Kirchenvolk, eine Glättung aller Härten in der Sexualmoral usw. die jetzige Krise nicht mildern, sondern nur verschärfen – welche Reformen würdest Du spontan alternativ benennen?

Die Vorschläge zu den nun notwendigen Reformen können durchaus unterschiedlich sein, bunt, mal durchdacht oder auch spontan. Mein Vorschlag zur anstehenden Reform habe ich im Text «Kirche 2.0» vorgetragen.

Kriterium für die richtigen Reformen:
Wir gleichen den Glauben nicht der Realität an,
sondern die Realität (und uns) dem Glauben.

2. Die Freiheit und Verantwortung der Laien wahrnehmen

Diese Forderung klingt schon fast synodal und postmodern. Allerdings geht es nicht darum, den Laien die bischöfliche oder priesterliche Verantwortung aufzubürden, sondern die ureigenste Verantwortung der Laien zu stärken: Liebe Getaufte und Gefirmte, werdet Euch der eigenen Berufung bewusst und füllt sie mit Leben! (So wie in «Kirche 2.0» beschrieben. Diese Freiheit habt Ihr!)

Kriterium der wahren Freiheit und Verantwortung:
Während die Bischöfe Verantwortung für die Wahrung des Glaubens
und die Priester Verantwortung für die Spendung der Sakramente haben,
liegt die Heiligung der Welt in der freien Verantwortung aller Getauften.

3. Vor Ort strahlen

Viele Katholiken schütteln angewidert den Kopf ob der Schlechtigkeit, die von Bischöfen und Papst berichtet wird (auch, wenn sie manchmal aufgebauscht oder – im Falle Benedikt XVI. – nur vermutet wurde). Gleichzeitig sind viele praktizierende Katholiken ganz zufrieden mit ihrer Pfarrgemeinde oder ihrem Pfarrer und den Kreisen, in denen sie ihren Glauben leben.

Das ist gut: Nirgendwo anders können und sollen wir ja auch wirken, als dort, wo Gott uns hingestellt hat. Pflegen wir unsere Gemeinschaften vor Ort, stiften wir dort Frieden und kümmern uns um die gelebte christliche Liebe.

Hüten wir uns vor der Attitüde der Populisten, die sich von «denen da oben» abgrenzt, um den Menschen «da unten» näher zu erscheinen. Wir Christen sind den Menschen nah in Einheit mit der Weltkirche und der universalen kirchlichen Lehre. Nur so sind wir eine Erfahrung der Nähe Gottes.

Kriterium für den richtigen Schwerpunkt:
Gestalten wir das Leben vor Ort,
denn dort liegen unsere Möglichkeiten und Kompetenzen.
Bleiben wir dabei katholisch: verbunden mit der ganzen Kirche.

4. Suchen wir Oasen

Früher war ich auch davon überzeugt, dass es nicht gut ist, von Gemeinde zu Gemeinde zu tingeln, nur weil der Ortspfarrer sich nicht an alle liturgischen Riten hält oder die Predigten langweilig sind. Inzwischen sehe ich das in manchen Fällen anders. Nicht nur, weil aus liturgischen Missbräuchen ausgewachsene theologische Häresien geworden sind («Wandlung von mitgebrachten Broten in den Kirchenbänken»), sondern auch weil wir Orten und Zeiten brauchen, Kraft zu schöpfen und die Sakramente ohne Groll und Wut über liturgische Peinlichkeiten und agitatorische Predigten empfangen wollen.

Schaffen wir, wenn möglich, solche Oasen. Suchen wir sie und empfehlen wir sie anderen! Erholen wir uns dort vom Sturm, der draußen tobt. Vertraut darauf: Wer suchet, der findet. Es gibt sie, die Oasen ideologiefreier Gemeinden oder Gottesdienste.

Stärken wir uns dort für den Sturm in der Wüste.

Kriterium für wahre Oasen:
Nicht die Loslösung von der katholischen Kirche,
sondern die innige Verbundenheit und gestärkte Beziehung zu Christus
ist das, was Welt und Kirche erneuert.

Vermeiden

1. Den Synodalen Weg nicht überbewerten

Nimm den Synodalen Weg nicht zu ernst! Er hat inzwischen seine theologische und pastorale Bodenhaftung verloren.

Ich gebe zu, dass ich die ausführliche Begründung für diese These hier schuldig bleibe. Aber genau darin liegt der Punkt: Für mich ist er seit einiger Zeit noch nicht mal eine schlechte Karnevalsveranstaltung. Ein ständiges Dagegen-an-argumentieren ist vergebliche Liebesmüh und Zeitverschwendung.

Verwende Dein Zeit nicht darauf, Fehlentwicklungen zu brandmarken, sondern den richtigen Weg zu gehen. Verwenden wir unsere Energie, Herz und Verstand lieber für das Notwendige und Verheißungsvolle!

Natürlich sollen wir uns informieren und eine Meinung bilden. Und denen Auskunft geben, die uns ehrlich fragen. Das setzt allerdings die Bereitschaft zur Sachlichkeit und ein Mindestmaß an Wohlwollen voraus.

Merke: Do not feed the troll!

2. Nicht auf die Bischöfe warten

Leider haben auch die deutschen Bischöfe mit der letzten Versammlung (im Februar 2022) mehrheitlich für den synodalen Unsinn gestimmt. Das ist traurig, aber kein Beinbruch: Die Bischöfe dienen dem Glauben der Kirche, aber sie bestimmen ihn nicht. Sie gehören zum Dienstpersonal der Kirche, das seinem Auftrag zur Zeit nicht ausreichend nachkommt. Da der Heilige Geist aber auch in jedem Getauftem und Gefirmten wirkt (und nicht nur «da oben» – oder, im Sinne des Dienstpersonals: «da unten»), dürfen die Laien vorübergehend auch mal katholischer als ihr Bischof sein.

Was allerdings nicht geht, ist die öffentliche Trennung von der durch den Bischof repräsentierten Ortskirche. Gottseidank dulden viele Hirten nicht nur die Abschaffung der katholischen Lehre in ihren Reihen, sondern auch deren Aufrechterhaltung.

Merke: Den Bischöfen in der Heiligkeit voraus zu sein, ist keine Sünde.

3. Unverdächtigen das Diskutieren überlassen – aber darauf verweisen!

Wir müssen nicht überall mitdiskutieren. Manchmal verbietet es sich sogar; vor allem, wenn der Eindruck entsteht, wir wollten uns aus einer vorgeworfenen Schuld herausreden. Aber auch ohne diesen Eindruck würden wir wahrscheinlich kaum etwas erreichen und oft nur unsere Energie verschwenden. Aber es gibt gute Artikel, Stellungnahmen oder Vorträge und Katechesen aus unverdächtigen Kreisen. Wenn wir auf andere verweisen, sind wir immer auf der klügeren Seite.

Aktuell hat Thomas Fischer (Jurist, evangelisch) im Spiegel einen guten Artikel platziert (nicht sein erster), Manfred Lütz (Psychiater) in der NZZ, Peter Seewald (Journalist) – usw.

Merke: Es kommt manchmal drauf an, wer etwas sagt.

4. Nicht urteilen

Wenn wir absurde Forderungen beim Namen nennen, verletzen wir schnell auch diejenigen, die diese Forderungen vertreten.

Nicht alle, die nach einer Reform in der Kirche gefragt werden und mit «Weg mit dem Zölibat! Frauen an den Altar!» antworten, haben sich das gut überlegt. Woher sollen sie auch Bescheid wissen, wenn seit Jahren Katechese und Glaubenswissen nicht oder nur verzerrt vermittelt wurden? – Auch die Forderung nach Abschaffung des Priesteramtes und all den anderen Absurditäten ist oft eher ein Zeichen der Verlegenheit. Würden andere Reformen (vor allem die, die wirklich helfen könnten) häufiger diskutiert, dürften viele sich diese zueigen machen.

Reden wir also überhaupt nicht so viel über das, was wir ablehnen. Verurteilen wir nicht, verbittern wir nicht. Sprechen wir vielmehr von dem, was wir glauben!

Merke: Heilen wir, anstatt zu amputieren.

5. Vermeiden wir «Fakten-die-nicht-genannt-werden-dürfen»

Dazu gehört…

  • …die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität. Die moralische Position ist eigentlich klar: Während eine sexuelle Orientierung nicht Sünde, sondern erst einmal nur eine psychologische Realität ist, lehnt die Kirche sowohl homosexuelle Handlungen als auch öffentlich eingegangene homosexuelle Partnerschaften ab. Das mag keine Konsequenzen für den «verkündigungsfernen Dienst» in der Kirche haben – für die im kirchlichen Verkündigungs-Dienst Stehenden ist das ein no-go.
  • …der beklemmende Befund, dass in der Bevölkerung die Opfer von Pädophilen zu 72 % weiblich sind (Quelle); in der Kirche werden aber zu 62 % (MHG-Studie), bzw. zu 58 % (Münchener Gutachten) männliche Kinder bzw. Heranwachsende sexuell missbraucht.
  • …die Relation zwischen den im Münchner Missbrauchsgutachten genannten 497 Opfer von sexuellen Übergriffen im Zeitraum von 1945 bis 2020 im Bistum München – und den 1.974 Fällen von Kindesmissbrauch, die allein in einem Jahr (2020) in Bayern gezählt wurden (Quelle) und…
    …die Relation zwischen den in der MHG-Studie genannten 3.677 Opfern von sexuellen Übergriffen in der katholischen Kirche im Zeitraum von 1946 bis 2014 in Deutschland – und den allein im Jahr 2020 angezeigten 16.686 Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch bundesweit. (Quelle)
  • …die seltsamen Forderung, Kardinal Woelki aus dem Amt des Kölner Erbischofs zu entfernen, obwohl er der einzige deutsche Bischof ist, dem (bislang) durch ein Gutachten korrektes Verhalten im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen nachgewiesen wurde.

Es macht keinen Sinn, auf diese Fakten hinzuweisen. Sie sind ja längst bekannt und werden in ihrer Aussagekraft dennoch ignoriert. Würden wir aber nicht nur die Fakten nennen, sondern auch die naheliegenden Schlüsse daraus öffentlich machen, ist uns der Shitstorm gewiss – und vielleicht sogar strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Lassen wir lieber die Finger davon (es sei denn, wir sind zur umfassenden Verkündigung verpflichtet – wie die Bischöfe). Wir haben Anderes zu verkünden.

Merke: Wenn Emotionen überhand nehmen,
ist ein Themenwechsel manchmal die klügere Wahl.

Von Pfarrer Peter van Briel, der Beitrag erschien als Erstveröffentlichung auf der Seite www.gut-katholisch.de
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