Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Der Bundespräsident wollte die Weihnachtsbotschaft säkular übersetzen, der Stuttgarter Dekan Steiger die Realität der Menschwerdung drastisch veranschaulichen. Beiden ist ihr Vorhaben misslungen. Der eine landete im Monströsen, der andere beim Lichtfest der Nazis. Martin Brüske kommentiert.

Licht – Wort – Zeichen – Gestalt

Die Lichtepiphanie, die den Hirten auf den Feldern bei Bethlehem widerfahren ist, hatte ihren Sinn nicht in sich. Sie war Verweis, Auslegung und Deutung einer verborgenen, im Alltäglichen der Geburt eines Kindes verhüllten Wirklichkeit, die doch reale Zeiten- und Weltwende war. Deshalb brauchte die Epiphanie des himmlischen Lichtes das deutende Wort: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Erlöser – Messias – Herr: Höher hinauf geht es kaum! Aber das Erkennungszeichen, das den Hirten die Identifizierung der Wirklichkeit erlaubt, die ihnen da angesagt und zugesprochen wird, ist ein in Windeln gewickeltes Kind im steinernen Futtertrog einer der typischen Stallhöhlen der Gegend. Licht, Wort und Zeichen bilden die unauflösbare Gesamtgestalt des messianischen Ereignisses, das den Hirten durch den Engel angesagt wird. In dieser Gestalt verbirgt sich die Menschwerdung Gottes. Den Sinn bewahrt nur, wer die Gestalt nicht auflöst! (Eine tiefere Auslegung dieser Gestalt finden Sie hier.)

Krippe: Vergegenwärtigung der Gestalt

Als der hl. Franz von Assisi vor 802 Jahren in Greccio die erste Krippe aufstellte, da ging es ihm genau um eines: Die Gestalt des damals Geschehenen für die Menschen der Gegend anschaulich werden zu lassen und damit das Geheimnis, das sich darin verbirgt, für den Blick des Glaubens zu vergegenwärtigen. In der Darstellung musste das Zeichen – das Kind in der Krippe – lesbar sein, damit der Blick des Glaubens in die verborgene Wirklichkeit geleitet wird. Nicht etwa „historische“ Genauigkeit war dabei entscheidend, sondern die Erhaltung der Grundgestalt: ein Kind, in der Krippe eines Stalles liegend, in Windeln gewickelt. Die immer wieder berührende Schönheit der damals in Greccio begonnenen Krippentradition, liegt gerade darin, dass, unter Bewahrung dieser Grundgestalt, die Requisiten und Personen, in der die Grundgestalt verwirklicht wird, im wahrsten Sinn des Wortes die verschiedensten Farben und Formen annehmen können, so dass sie den Betrachtenden ganz, ganz nahe kommen und doch gerade so immer das eine Geheimnis aufleuchten lassen. Aber wehe dem, der diese Grundgestalt antastet!

Doppelte Katastrophe: Stuttgart und Schloss Bellevue

Weder dem Stuttgarter Dekan Steiner – verantwortlich für die Weihnachtsmette der ARD – noch dem Bundespräsidenten Steinmeier, möchte ich die Absicht unterstellen, die Wirkung zu erzielen, die sie de facto erzielt haben. Was sie aber angerichtet haben, ist tatsächlich katastrophal. Der eine landete im Monströsen, der andere bei einer Entleerung, die sich im Gehalt nicht mehr von der „deutschen Weihnacht“ alias „Julfest“ der Nazis unterschied.

Zerstörung der Gestalt

Den einen leitete wohl die gute, aber völlig verfehlte Absicht, die Anschaulichkeit der Gestalt der Menschwerdung Gottes noch einmal in zweiter Stufe zu „veranschaulichen“. Das ist leider typischer Theologenverstand, der meint, dem Bildgehalt des Christentums nicht mehr trauen zu sollen und unter dem Druck zu stehen, ihn erneut zu übersetzen. Wenn diese Abstraktion – was sie in Wahrheit ist – wieder „Gestalt“ gewinnt, eine missglückte künstlerische Gestaltwerdung in diesem Fall, die ganz offensichtlich nicht aus dem intensiven Dialog von Kunst und Theologie entstanden ist, landen wir dann in der Entstellung des Monströsen. Die Urgestalt und damit das Zeichen, das auf das Verborgene verweist, wird unlesbar. Dass, was die Radikalität der Menschwerdung hätte anzeigen sollen, wird de facto zur Zerstörung der menschlichen Gestalt.

Der Assoziationsraum, der in den Bildwelten der Gegenwart hier geöffnet wurde von der Tiergeburt bis zum Alien und Horrorfilm, ist das gerade Gegenteil der vermutlichen guten Absicht! Übrigens ist nicht die junge Künstlerin dafür verantwortlich zu machen, sondern der Dekan mit eben guter Absicht, aber einem katastrophalen Mangel an theologischer und ästhetischer Urteilsfähigkeit und dafür umso reicher entwickelter Instinktlosigkeit. Leider nicht untypisch für die Kirche des Synodalen Wegs!

Weihnachten ohne die Geburt Jesu

Auch der andere, der Bundespräsident, war wohl von jener Mischung aus guter Absicht, völliger Urteilsunfähigkeit und totaler Instinktlosigkeit geleitet. Die gute Absicht: Die Weihnachtsbotschaft für eine immer säkularere Gesellschaft zu „übersetzen“. Aber heißt das zwingend, sie von jedem substantiellen, inhaltlich bestimmten christlichen Bezug zu befreien? Eigentlich ist alles gesagt, wenn gesagt wird: In der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten kam die Geburt Jesu schlicht nicht vor!

Ein anderes Fest

Lieber Herr Bundespräsident, selbstverständlich kann man, ja muss man sich auf diesen unverzichtbaren Kerngehalt des Weihnachtsfestes sich beziehen, wenn man nicht ein anderes Fest schaffen will! Man muss das – da bin ich völlig bei Ihnen – in einer hochpluralen Gesellschaft ohne Zweifel sensibel und integrativ tun. Das ist nicht schwer. Man muss nur wirklich persönlich und zugleich wirklich wertschätzend reden.

Was Sie getan haben, war aber nichts weiter, als das Christentum schlicht zu verdrängen. Sie meinten wohl mit der Metaphorik von Licht und Finsternis an eine Kernmetaphorik des christlichen Festes anzuknüpfen. Aber jede christliche Füllung dieser Metaphorik vermieden Sie überdeutlich. Damit entsteht schlussendlich ein anderes Fest. Das hatten wir in Deutschland schon einmal, die Reduktion von Weihnachten auf ein winterliches Dunkelheits- und Lichtfest. Es hieß „Julfest“ oder „deutsche Weihnacht“. Es sollte das christliche Weihnachten ersetzen.

Wollen Sie das wirklich auch, Herr Bundespräsident?


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.

Bild: Adobe Stock / Natalia Bostan

 

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