Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.

Die enge Pforte zum Festmahl des Lebens
Auslegung des Evangeliums vom 21. Sonntag im Jahreskreis C Lk 13, 22-30

Die enge Tür führt zum Mahl des Lebens. Alles kommt darauf an, dort anzukommen, so lange sie offen ist. Wer sich von Jesu Lehre berühren lässt, so dass er sich aufmacht und mit vollem Eifer sucht, der wird die Tür offen finden. Zuletzt strömt es aus der Weite der Welt durch die enge Pforte. Sie ist überall dort, wo Menschen Jesus persönlich kennen.

Lehrfragen auf dem Weg nach Jerusalem

Zum zweiten Mal erwähnt Lukas in unserem Evangelium ausdrücklich, dass sich Jesus auf dem Weg nach Jerusalem befindet. Wir befinden uns also immer noch mitten in dem Bericht, den unser Evangelist von diesem Weg gibt. Und wir erinnern uns: Dieser Weg steht für Jesus ganz ausdrücklich unter dem Wissen, dass es in Jerusalem zum „Showdown“ kommen wird, dass ihm dort Leiden und Tod, aber auch seine Vollendung bevorstehen. Es ist das geheimnisvolle „Muss“ des väterlichen Heilsplans, das den Weg bestimmt. 

Aber Jesus geht diesen Weg nicht direkt, schweigend und geheim. Vielmehr: Dieser Weg ist öffentlich. Er ist ein Weg der Lehre von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt. Und immer wieder steht diese Lehre unter dem Vorzeichen eines besonderen Ernstes im Blick auf die kommenden Ereignisse und der Tatsache, dass die Zeit des öffentlichen Wirkens Jesu sich ihrem Ende nähert.

In unserem Evangelium ist Anlass der Lehre Jesu tatsächlich eine „klassische“ Lehrfrage, die ihm gestellt wird: „Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden?“ Das ist eine ernste Frage. „Gerettet werden“, das meint nicht ein vorläufiges, relatives Heil, sondern erfragt ist, wie groß die Menge derer ist, die im Vergleich zu Gesamtisrael (oder der ganzen Menschheit?) endgültig ins ewige Leben eingehen, bei Gott ankommen, definitives Heil finden. „Gerettet werden“, das setzt auch voraus, dass ich überhaupt gerettet werden muss, also der Rettung bedürftig bin, dass ich jedenfalls verloren gehen kann und nicht automatisch immer schon gerettet bin. Und für den womöglich besorgten Frager ist es zumindest eine Möglichkeit, dass es am Ende „nur wenige“ sind, die ins Heil gelangen. Für den Frager also gibt es die Möglichkeit endgültiger Verlorenheit und die Gefahr, dass ein großer Teil Israels und damit umso mehr der Menschheit es nicht „schaffen“ könnte. Tatsächlich wird diese Frage in Israel zur Zeit Jesu diskutiert. Die Antworten reichen von der optimistischen Vorstellung, dass ganz Israel ins ewige Leben eingeht, bis zu pessimistischen Annahmen, dass tatsächlich nur wenige gerettet werden. Also genau das, was unseren Frager beschäftigt.

Nun ist es so, dass für viele, die sich heute Christen nennen, diese Frage, die den Frager umtreibt, längst keine echte Frage mehr ist. Sie gehen mit großer Selbstverständlichkeit davon aus, dass ein Gott, der Liebe ist, am Ende einfach nur alle retten könne. Wäre etwas anderes nicht grausam? Ich möchte diese Frage hier nicht theoretisch diskutieren, sondern nur darauf hinweisen, dass eine solche Sicht in der Verkündigung Jesu keinerlei Stütze findet: Obwohl sie eine Botschaft der unbedingten Barmherzigkeit Gottes gerade für die Verlorenen ist (und das sind wir alle), streicht sie nichts vom Ernst und der Verantwortlichkeit menschlicher Existenz und damit bleibt die Möglichkeit menschlicher Verlorenheit aktuell. Sie lässt sich aus der Verkündigung Jesu nur mit Gewalt entfernen. Gerade in unserem Evangelium wird das sichtbar. Allerdings auf eine göttlich-überraschende Weise, denn Jesus antwortet auf die Lehrfrage unseres unbekannten Fragers gerade nicht mit einer theoretischen Auskunft, sondern er ruft genau mit großer Eindringlichkeit Ernst und Verantwortlichkeit menschlichen Existierens wach. Sehen wir zu!

Der Kampf um den Eingang in die Königsherrschaft Gottes

„Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen.“

Das griechische Verb hinter dieser Aufforderung – agonizesthe – bedeutet eigentlich „kämpfen“ und zwar besonders im sportlichen Wettkampf. „Kämpft (wie in einem Wettkampf), hineinzugehen durch die enge Tür.“ Das Ziel des Wettkampfes ist also der Eingang durch die enge Tür. Wem das gelingt, der hat den Sieg errungen, der hat es geschafft – und zwar, wie wir sehen werden, in den Festsaal Gottes, in dem das Heilsmahl der Königsherrschaft Gottes gefeiert wird. Um diesen Sieg zu erlangen, braucht es den Eifer und die Wettkampfstärke des sportlichen Kämpfers. Und tatsächlich: Denen, die hineinzugelangen suchen und das nicht schaffen, mangelt es an Kraft, an Stärke dazu. Die Einheitsübersetzung ist hier etwas blass, aber der griechische Text redet wirklich vom „stark sein“ und bleibt damit im sportlichen Bildfeld. 

Es geht also nicht um eine wüste Prügelei einer Menschentraube vor dem engen Eingang – und der mit den schlagkräftigsten Fäusten und den am hemmungslosesten eingesetzten Ellenbogen setzt sich durch und zwängt sich durch die enge Pforte. Sondern es geht darum, die enge Tür durch den kämpferischen Einsatz aller Kräfte wie in einem sportlichen Wettkampf rechtzeitig zu erreichen. Denn durch die enge Tür – ich assoziiere dabei immer den Eingang der Geburtskirche in Bethlehem – kann immer nur einer. Und irgendwann wird sie geschlossen. Im Bildfeld der Lehre Jesu verbindet sich die Enge der Tür mit der Begrenztheit der Zeit. Zeit ist Frist. Es gibt ein „zu spät“. Darin liegen Ernst und Verantwortung der Existenz. Und Jesus fordert uns eindringlich auf, auf diesen Ernst mit dem Einsatz unserer ganzen Existenz zu antworten.

Man kann sich nun fragen, haben die Späten, die Zurückgebliebenen und die Schwachen dann eigentlich noch eine Chance? (Und fast möchte man sage: Irgendwo sind wir alle spät, zurückgeblieben und schwach.) Können sie die „enge Pforte“ überhaupt rechtzeitig erreichen, um zum Festmahl des Lebens zu gelangen? Oder stehen sie zwangsläufig vor „verschlossener Tür“? Nun, das wäre ein sehr gründliches Missverständnis unseres Evangeliums! Jedenfalls hat der gute Schächer, der neben Jesus stirbt und der zu begreifen beginnt, wer da neben ihm stirbt und gleichzeitig, wer er selber ist, in seiner bittenden Zuwendung zu Jesus die Pforte zum Paradies offensichtlich rechtzeitig gefunden.

Es ist also ein Wettkampf, in dem alle Sieger sein können, wenn sie sich von Jesus berühren lassen und sich mit ihrer ganzen Existenz in Bewegung setzen. Paulus hat das – auch unter Verwendung von agonizomai – ebenfalls in ein starkes Bild gebracht:

„Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, auf dass ich an ihm teilhabe. Wisst ihr nicht: Die im Stadion laufen, die laufen alle, aber nur einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. Ich aber laufe nicht wie ins Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt, sondern ich schinde meinen Leib und bezwinge ihn, dass ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.“ (1Kor 9, 23-27)

Wer sich so investiert, dass er Sieger im Wettkampf werden könnte, der wird tatsächlich den Siegespreis gewinnen: Die Teilhabe am Evangelium kennt viele Sieger – aber kämpfen sollen wir, als ob es nur einen gäbe.

Kennt Jesus uns?

Wer kämpft aber dann den guten Kampf, um rechtzeitig zur engen Pforte zu gelangen und sie zu durchschreiten zum Festmahl in der Königsherrschaft Gottes? Das wird deutlich in der Antwort, die Jesus den vor verschlossener Tür Zurückgewiesenen gibt. Sie verlangen Eingang, obwohl die begrenzte Zeit der offenen Tür abgelaufen ist. Wieso sind sie zu spät? Es ist hier übrigens klar, dass der Hausherr Jesus selbst ist!

Die, die definitiv zu spät vor die verschlossene Tür gelangen, sind die, die Jesus in einem existentiellen Sinn nicht kennt. Die, die nicht bereit waren, ihn kennenzulernen und eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Obwohl Gelegenheit und Möglichkeit dazu bestand, blieben sie stumpf, uninteressiert und unbewegt. Dabei überführen sie sich selbst: Sie führen an, dass sie Jesus ja doch „kennen“ würden. Sie haben doch in seiner Gegenwart gegessen und getrunken, haben ihn als Lehrer auf ihren Straßen beobachtet! Aber genau das hat bei ihnen nicht dazu geführt, dass sie sich in der Tiefe von Jesus haben bewegen lassen, sie sind nicht aufgebrochen, haben den guten Kampf nicht aufgenommen, sind nicht umgekehrt, haben nicht Buße getan, sind nicht in die Nachfolge eingetreten. Jetzt aber sind sie zu spät. Sie stehen vor verschlossener Tür. Jesus kennt sie nicht. Sie alle sind Täter der Ungerechtigkeit. Sie sind in ihrer Verlorenheit geblieben und wollten es so.

Einen sehr ähnlichen Zusammenhang finden wir bei Matthäus:

„Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet!“ (Mt 7, 21-23).

Jesus lehrt von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf auf seinem Weg nach Jerusalem. Die, die vor der verschlossenen Tür stehen, sahen Jesus auf ihren Straßen lehren. Vielleicht haben sie sogar „Herr, Herr“ gesagt und manches andere getan. Aber Jesus kennt sie nicht. Jesu Lehre drang nicht in die Tiefe ihres Herzens. Sie ließen sich nicht von ihr bewegen. Sie blieben in ihrer Verlorenheit. So kommt alles darauf an, dass Jesus uns kennt, weil wir ihn kennenlernen wollen, weil wir ihm folgen wollen, weil wir in allem Ernst, so gut wir vermögen, den Willen des Vaters tun und darin wachsen. Wer sich dazu bewegen lässt, vielleicht spät, gebrochen und voller Schwäche, der wird dennoch rechtzeitig vor der geöffneten Tür des himmlischen Festsaals stehen und die Engel und die Heiligen werden ihn unter Jubel – denn über jeden Geretteten ist Jubel im Himmel – an der engen Pforte empfangen.

Viele oder wenige? 

Denn tatsächlich nimmt unser Evangelium gegen Ende eine göttlich-überraschende Wendung. Erlauben Sie mir, ganz treu zur Logik unseres Evangeliums, seine Bildwelt etwas fortzuspinnen?

So würde es dieser Logik entsprechen: Als wir mit kämpferischer Mühe zur engen, aber geöffneten Pforte gelangten, als wir begrüßt wurden durch Engel und Heilige, mitten unter ihnen die Patriarchen und Propheten, als wir hineingegangen waren in den großen, lichterfüllten Festsaal und als wir uns nach antiker Sitte niedergelegt hatten zu Tisch, da blickten wir zurück – und sahen nun, woher wir gekommen waren. Dort aber, wo die enge Pforte gewesen war, durch die wir gerade jeweils allein hineingehen konnten, war jetzt ein unermesslich weites, von strahlendem, goldenem Licht erfülltes Tor. Und blickte man sich um, war da plötzlich in jeder Richtung ein solches Tor. Und der Saal war zugleich eine himmlische Stadt. Die vier Tore aber waren der weit geöffnete Zugang zu dieser Stadt. Durch sie strömten die Völker ins himmlische Jerusalem – von Norden und Süden, Westen und Osten. Und Jubel erfüllte die himmlischen Weiten.

Viele oder wenige? Der unbekannte Frager bekommt keine theoretische Antwort auf seine Frage. Zunächst sieht es zwar so aus, als ob Jesus für „wenige“ plädiert. Aber in Wahrheit geht es hier um die Mahnung: Nimm Deine Existenz ernst, denn du trägst vor Gott Verantwortung. Von dir aus bist du verloren. Lern mich kennen, damit ich dich kenne. Dann wirst du die Tür offen finden. Göttlich überraschend wird sein, wer, wann, wie und wo sein innerstes existentielles „Ja“ des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe dazu sagt, so dass Erste Letzte und Letzte Erste werden. Der Ernst ist groß, aber auch die Hoffnung. Und zuletzt steht über der engen Pforte:

„Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein und aus gehen und Weide finden.“ (Joh 10, 9).

 


Dr. theol. Martin Brüske,
geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.


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