In Rom geht der Punk ab. Sogar die Erwartungen der “Römer” wurden übertroffen. Eine Million Jugendliche jubeln Papst Leo zu. Der Circus Maximus wird zur größten Beicht-Arena der Welt. Und das katholische Deutschland kriegt nichts davon mit. Ein Kommentar von Bernhard Meuser
Das Jubiläum der Jugend macht die wahren Zeichen der Zeit sichtbar
„In euren Händen liegt die Zukunft der Kirche!“,
hatte Johannes Paul den Teilnehmern des ersten Weltjugendtages zugerufen. Der Papst vertraute den jungen Leuten mehr als dem Apparat. Siehe da: In kalter Zeit blühten Berufungen auf. Auf den heiligen Johannes Paul folgte Benedikt. Auch er setzte im Schock der Missbrauchskrise weniger auf die Selbstreinigungskräfte der Institution, als auf die Hingabe der Jugend:
„Ihr wisst alle, wie tief die Gemeinschaft der Glaubenden in letzter Zeit verwundet wurde durch Attacken des Bösen, durch das Eindringen der Sünde selbst in das Innere, ja das Herz der Kirche. Nehmt es nicht zum Vorwand, Gottes Angesicht zu fliehen! Ihr selbst seid der Leib Christi, die Kirche! Bringt das unverbrauchte Feuer Eurer Liebe in diese Kirche ein, sooft Menschen ihr Antlitz auch entstellt haben!“
Eine Elite von jungen Intellektuellen entdeckte über Benedikt die große Tradition des Gottesdenkens und das rational sortierte Schatzhaus des Glaubens. Sie bereiteten das vor, was Franziskus kommen sah und Leo gerade erntet: Eine neue Hinwendung junger Menschen zum Glauben der Kirche.
Nun ja, auf einen Weltjugendtag kommt nicht nur die Avantgarde einer neuen Katholizität. Da sind auch viele Jugendliche, die einfach Spaß haben wollen. Man muss auch mit hingeschickten Funktionären rechnen, die Arbeitszeit reklamieren und Reisekosten extra abrechnen. Trotzdem! Da ist etwas. Der Wind dreht sich.
Wieder waren diese starken Gesichter zu sehen
Weltjugendtagsvigil in der Nacht zum Sonntag, draußen, auf dem offenen Feld. Lichter, die in der Ferne noch die ungeheure Menschenmenge andeuten. Wieder und wieder sucht sie die Kamera. Und findet sie: diese starken, jungen Gesichter, die sich mit dem Oberhaupt der Katholischen Kirche in einer Art von brennender Stille vor dem Allerheiligsten versammeln, um eine neue Ära des Glaubens einzuläuten. Ihr Kern: Anbetung. Bezeugt von einem Papst, der lange – sehr lange – kniet. Und mitnimmt vor den Herrn. Sonst nichts.
Dass globalkirchlich etwas in der Luft liegt, was in diesen Tagen in Rom nur ansichtig wird, bekamen viele erstmals mit, als an Ostern 2025 tausende von jungen Leuten in Frankreich zur Taufe strömten. Wo kommen die bloß her, fragte man sich. Die Antwort hat zwei Facetten.
Antwort 1: Sie kommen aus dem Nichts – aus dem laikalen Frankreich, aus kältester, feindlich gestimmter Säkularität.
Antwort 2: Sie kommen aber auch aus dem Schoß einer armen, allerdings missionarisch tickenden Kirche. Die hatte Hochmut, Größe und Glanz verloren, hatte nicht viel mehr anzubieten als das Evangelium und ihre offenen Arme. Die jungen Franzosen fanden kein Kirchenmarketing und keine einladenden Präsentationsflächen vor. Sie trafen auf Fromme, die in der Stille der verlassenen Kathedralen bei ihrem Herrn ausgeharrt hatten und nun mit den Jungen den Schatz der Gegenwart Gottes zu teilen vermochten. Die sich taufen ließen, beschritten den Initiationsweg, der die frühe Kirche stark machte: Man schenkte ihnen Katechese, die den Namen verdient, eine sorgfältige mystagogische Einweihung in den vollen Glauben und die unverfälschte Praxis des Christlichen. Willst Du das? Ja. Widersagst Du? Ja.
Manifestationen einer Gegenkultur
Was in Frankreich passierte, passiert gerade in vielen Ländern (selbst in Deutschland, wo ein Münchner Innenstadtpfarrer an Ostern 15 spannende junge Leute zur Taufe führen konnte). Gleiches wird aus den nordischen Ländern berichtet. Besonders stark macht sich der neue Trend in Großbritannien bemerkbar. Als die jungen Leute, so der englische Religionssoziologe Steve Bullivant „in Ihren späten Teenagerjahren oder in ihren frühen Zwanzigern oder Dreißigern sind und zur Kirche gingen, dann mussten sie wirklich gegen den kulturellen Strom schwimmen und hatten ein enges Netzwerk von anderen Menschen, die das Gleiche getan haben.“ Ihnen war klar, „dass sie nicht in einer Art geschützter christlicher Blase leben, in der die einzigen Menschen, die sie kennen, Christen sind. Die Menschen, die nach einer so langen Zeit der Säkularisierung übrig bleiben, sind diejenigen, die gerne evangelisieren und eine attraktive Gruppe darstellen, der sich andere Menschen anschließen können.“
Da zeigt sich also etwas von der heraufziehenden Zukunft der Kirche. Es wird sich gewiss keine spontane Massenbewegung daraus entwickeln. Aber die Köpfe und Trendsetter sind da; sie zaubern schon in den Sozialen Netzwerken, bewegen sich freilich in ihrer eigenen Sprache, ihrer eigenen Musik, ihren eigenen Bildwelten und Ästhetiken. Es sind vielfach Studenten und junge Intellektuelle, die in seelische Dissonanz zum Trash der Gegenwartskultur gerieten und einer neokonservativen Grundströmung folgen. Leute, die wieder zu Büchern greifen, die mit Charles Taylor etwas anzufangen wissen oder auch bei Jordan Peterson vorbeigeschaut haben. Vor allem folgen sie Robert Barron auf YOUTUBE, dem erfolgreichsten digitalen Missionar der Welt. Wenn man Barron folgt, folgt man philosophisch einem Leader, der einen von Thomas bis zur Postmoderne durch alle Höhen und Tiefen des Denkens geleitet. Man hat plötzlich Instrumente in der Hand, die Urteile erlauben und diskursfähig machen.
In der Hand der Neokatholiken befindet sich aber auch – wer hätte das vor zwanzig Jahren gedacht – der Rosenkranz, was mit Barron ebenso kompatibel ist wie mit Papst Leo. Und wer hätte dann gedacht, dass diese unmögliche Generation von jungen, rosenkranzaffinen Barronisten auch noch Geschmack entwickelt? Mitten im ästhetischen Müll der Gegenwart begeistert sie sich für das gewachsen Schöne, sucht das „Heilige“ und entdeckt es in den Abstellräumen der Zeitgeistkirche. Die jungen Leute schwören auf Lobpreis, drücken ihre Frömmigkeit darin kreativ aus. Sie lieben die Liturgie. wobei nicht wenige für die Alte Messe optieren, was nur scheinbar paradox ist. Sie tun es wohl, weil sie die banale Verkaufe göttlicher Dinge nicht mögen, die Pädagogisierung und Funktionalisierung heiliger Zeichen. Typischerweise fühlen sich viele von ihnen abgestoßen von der „Häresie der Formlosigkeit“ (Martin Mosebach); sie suchen Würde, Größe, Schönheit, Sakralität, Sicherheit der Lehre, Kontinuität im Denken … Und sie nehmen eher an Werktagsgottesdiensten teil, als an den ihnen zugedachten coolen Jugendgottesdiensten. Wen wundert es, dass dieses konservativ-charismatische Milieu alle denkbaren Beißreflexe der etablierten Pastoral auslöst.
Ein schütteres Trüppchen, ein Weihbischof und eine Regenbogenfahne
Nun fuhren nicht nur die neuen Frommen nach Rom, sondern auch ein schütteres Trüppchen vom BDKJ, mit einem veritablen Weihbischof und einer Regenbogenfahne im Gepäck: Wahrscheinlich, um „die mal richtig aufzumischen“. So in Sachen Feminismus, Klima, Gender und Homosexualität, in denen die „Dritte katholische Welt“ bekanntlich noch nicht auf Augenhöhe mit der deutschen Theologie ist. Das schien den Papst und die Weltjugendtagsteilnehmer aus 147 Ländern der Erde nicht sonderlich zu beeindrucken. Berichtenswert fanden das nur öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland und natürlich das mehr oder minder offizielle Portal der Deutschen Bischofskonferenz, das sich – statistisch gesehen – für Weihnachten und Ostern weniger interessiert als für Homosexualität. Katholisch.de ließ die Fahne wehen und titelte: „Haben sehr viel Zuspruch und Offenheit erlebt. Deutsche Gruppe bei Weltjugendtreffen: Regenbogenfahne kam gut an.“ Wow. Ehre den heimgekehrten Kriegern! Die Lachnummer am Rand eines geistlichen Weltereignisses: aufgepimpt zur aufklärerischen Tat. Sie sehen nichts, hören nichts, lernen nichts, kehren ungerührt und unbekehrt ins deutsche Kirchenelend und ihre Angestelltenverhältnisse zurück, wo sie weiter eine „Katholische Jugend“ verwalten, die ihnen längst entschwunden ist.
Die sich ihnen entzogen haben, die anderen, die im Herzen berührten Jugendlichen, die in Rom ihr Leben dem Herrn gegeben haben, gehen einen schweren Gang. So lange sie jung sind, trägt sie ihr Netzwerk. Später werden sie zerstreut.
„Ihr müsst im Glauben noch viel tiefer verwurzelt sein als die Generation Eurer Eltern, um den Herausforderungen und Versuchungen dieser Zeit mit Kraft und Entschiedenheit entgegentreten zu können.“,
hatte Papst Benedikt den Jugendlichen 2011 in Madrid zugerufen. Und er fügte hinzu:
„Ihr braucht göttliche Hilfe, wenn Euer Glaube nicht austrocknen soll wie ein Tautropfen in der Sonne.“
Gott gebe ihnen diese Gnade, aber er gebe auch, dass sie morgen keine tote Kirche vorfinden, sondern immer noch Gemeinden und Gemeinschaften, in denen ihrer Leidenschaft für Gott eine „Echokammer und ein Resonanzraum“ (Martin Brüske) geboten wird.
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral. Bernhard Meuser ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Beitragsbild: Alessia Giuliani / Imago Images