Traurig über das Drama der schweigenden Hirten und desillusioniert über die derzeitigen politischen Vorgänge, ermutigt Peter Winnemöller die Christen, sich zu Anwälten des Lebens zu machen. Um einer Kultur des Todes entgegenzuwirken, sollen Christen – wie schon oft in der Historie – ihre Stimme erheben, bevor die “Steine schreien” und bekennen: Gott ist ein Freund des Lebens

Und wieder schweigen die Hirten. Die Bischöfe Oster und Voderholzer haben als einzige deutsche Oberhirten Stellung bezogen zu der umstrittenen Nominierung der linksextremistischen Aktivistin Frauke Brosius-Gersdorf. Ansonsten gibt es noch eine vornehme diplomatische Note vom katholischen Büro in Berlin. Derzeit ist noch nicht sicher, ob die Abtreibungsbefürworterin, die ungeborenen Menschen die Menschenwürde abspricht, und damit die bioethische Büchse der Pandora bis zum Anschlag aufreißt, zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt wird. Doch in Deutschland setzt sich fort, was wir auch in anderen Ländern erleben. Es gibt einen Kampf um die höchsten Gerichte. Dabei steht die Frage an, ob nun „Unsere Demokratie“ auch eine „Unsere Justiz“ bekommt oder ob die höchstrichterliche Rechtsprechung sich ihre Neutralität erhalten kann.

Recht verhilft zu Unrecht

Ganz gleich, wie diese Richterwahl ausgeht, es ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Legalisierung der Abtreibung bis zur Geburt. Dass ein solches Recht aus rechtsethischer Sicht ein maximales Unrecht darstellt, steht außer Frage. Denn auch hier wird das Recht zur bedrängenden Pflicht werden. Wehe dem Elternpaar, das sein schwerstbehindertes Kind nicht zur Tötung freigibt. Eine „Solidar“-gemeinschaft, die den Tod als Lösung anbietet, wird ganz sicher nicht für das äußerst kostspielige behinderte Leben bezahlen wollen. Auch ein komatöser Patient wird dem Rotstift der Klinikrentabilitätsprüfung zum Opfer fallen.

Man mache sich bitte keine Illusionen, die Zeit, in der der Schutz des menschlichen Lebens im Strafgesetz verankert war, geht zu Ende. Vielleicht wird es in dieser Legislaturperiode noch halten. Vielleicht hält es noch eine Periode mehr. Doch die Kultur des Todes, vor der der Heilige Papst Johannes Paul II. immer gewarnt hat, schreitet derzeit unaufhaltsam voran.

Das Drama des Schweigens der Hirten

Umso mehr ist das Schweigen der Hirten ein Drama. Die Feigheit, deutlich zu sagen, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn sie die Schwachen zur Tötung freigibt, ist ihre Pflicht.
Sie weigern sich und sie werden dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Doch das ist nicht an uns. Als Christen sind wir zu Jüngerschaft und Zeugnis berufen. Deshalb müssen WIR es sagen.: Wer einen ungeborenen Menschen tötet, begeht ein schweres Unrecht. Wer einem Menschen – egal in welcher Lebensphase – seine Würde aberkennt, tut das Werk eines Extremisten. Und wer es einem Extremisten ermöglicht, im Amt eines Richters am höchsten Gericht sein Unwesen zu treiben, macht sich zum Helfer von Extremisten. Und wer als Apostel oder als Jünger dazu schweigt, macht sich mitschuldig. 

Es gilt – wirklich bis zum letzten Augenblick – Zeugnis zu geben:

Gott ist ein Freund des Lebens!

Reden, bevor die Steine schreien

Das bedeutet, dass wir uns nicht hinter das Schweigen der Hirten zurückziehen dürfen. Wir müssen reden. Wenn wir schweigen, dann wird Gott dafür sorgen, dass die Steine reden. (vgl. LK 19, 39f.) Auch in der genannten Schriftstelle will die geistlich-politische Obrigkeit die Ruhe erzwingen. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Doch jeder Zwang zur Ruhe wider die Wahrheit führt nur zu einem umso lauteren Zeugnis.

Das Zeugnis mutiger Christen

Wir müssen es vermutlich hinnehmen, dass der politische Kampf um einen rechtlichen Schutz des ungeborenen Menschen ebenso enden wird, wie der Kampf um die Tötung kranker und behinderter Menschen. In „Unserer Justiz“ werden diese keinen Schutz mehr zu erwarten haben, und wir sehen, dass die Hirten es akzeptieren. 

So wird es Zeit, über die Zeit danach nachzudenken. Was tun wir denn, wenn die Abtreibung bis zur Geburt erlaubt wird? Was tun wir, wenn die Aufklärung über das wahre Wesen der Abtreibung unter Strafe steht? Was tun wir, wenn es, wie zum Teil heute schon, strafbar wird, Frauen und ihre Kinder vor dem Elend der Abtreibung im letzten Moment noch zu bewahren? 

Es wird viel darüber geschrieben, was das Christentum in der Antike so attraktiv machte. Diese wenig heroische Unterschichtreligion zog mehr und mehr Menschen an. Sie töten die Leibesfrucht nicht, sie setzen keine Kinder aus und sie kümmern sich um alte, kranke und sterbende Menschen.

Beispiel mutiger Christen

Wenn es etwas gibt, was wir Christen – neben dem noch nicht beendeten – politischen Kampf um den Schutz des menschlichen Lebens, jedes menschlichen Lebens, tun müssen, dann ist es dies. Es gilt Strukturen zu schaffen, so dass man einer Frau in einer Krisenschwangerschaft mit gutem Gewissen sagen kann: Geh zu den Christen, da wird dir und deinem Kind geholfen! Bauen wir dabei nicht auf die verfasste Kirche, denn die feigen Hirten unserer Tage werden das gute Werk behindern wollen. Bauen wir darauf, dass die Hirten von morgen zu schätzen wissen, was an ihren bedauernswerten Vorgängern vorbei von mutigen Jüngern und Jüngerinnen geschaffen wurde. 

Wenn wir über Neuevangelisierung reden, dann tun wir das zu Recht. In einem derart säkularisierten Land ist Mission eine unbedingte Notwendigkeit. Doch reden wir über das Evangelium, dann müssen wir auch über die Handlungsanweisungen aus dem Evangelium reden. Leben zu bewahren, gehört dazu.

Christen als Anwälte des Lebens

Wenn es einer milliardenschweren Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht mehr gelingt, sich für den Schutz des Lebens einzusetzen, dann ist das peinlich. Aber wie die prachtvollen Hinterhofkirchen in Berlin von den Pfennigen der katholischen Dienstmägde entstanden sind, so wird die prachtvolle, glaubens- und lebensstarke Kirche der Zukunft von den wenigen Euros der bekennenden und praktizierenden Jünger und Jüngerinnen erbaut werden. Tun wir es und beten wir derweil für die Bekehrung der Hirten. Verstehen und akzeptieren wir, dass der politische Kampf wichtig, der geistliche aber weitaus wichtiger ist. Dann werden die Christen, wie schon immer in der Geschichte, auch in Zukunft die Anwälte des Lebens sein.


Peter Winnemöller
Journalist und Publizist. Autor für zahlreiche katholische Medien. Kolumnist auf dem Portal kath.net. Im Internet aktiv seit 1994. Eigener Weblog seit 2005. War einige Jahre Onlineredakteur bei „Die Tagespost“. Und ist allem digitalen Engagement zum Trotz ein Büchernarr geblieben.


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