Nach Corona, im Krieg Russlands gegen die Ukraine und dem Niedergang der katholischen Kirche in Deutschland brauchen wir einen Blick aus dem Dunkeln ins Licht. Der Schriftsteller Patrick Roth schenkt uns einen solchen Blick in seiner Christus Trilogie. Helmut Müller lehnt ein paar Ostergedanken an die biblisch-prophetische Substanz dieser Jesus-Erzählung.

 

Auferstehung – ein ungehöriger Vorfall

In ihr hat er sich die ungeheuerlichste Geschichte der Menschheit ausgesucht, um das, was in ihm lebt und bebt, zum Ausdruck zu bringen. Die Geschichte des Mannes aus Nazareth, der etwa ein – oder drei Jahre öffentlich gewirkt hat und dann augenscheinlich furchtbar gescheitert ist. Wenn alles in diesem Leben „mit rechten Dingen zugegangen wäre“, hätte sein Auftreten in der hintersten römischen Provinz weiter kein Aufhebens gemacht.

Zeitgenössische Historiker wie Flavius Josephus,  haben das, was über ihn „umging“, gar nicht für bare Münze gehalten und die Geschehnisse kaum erwähnt. Patrick Roth aber macht das eigentliche Skandalon dieser Biographie zum Thema. Im Leben dieses Galiläers wurde die oberflächliche Kausalmechanik von Ursache und Wirkung mindestens zwei Mal außer Kraft gesetzt, mit seiner Geburt und seinem Tod. Und wenn man das kleine Büschel von Nachrichten aus diesem unbedeutenden Landstrich am östlichen Mittelmeer ernst nimmt, dann auch noch weitere Male. Leute, die das nicht bloß als Geschichten, Erzählungen, Märchen oder Mythen abtun, haben einen schweren Stand.

Patrick Roth hat einen angelsächsischen Kollegen, der diese Geschichte vor Jahrzehnten schon einmal ernst nahm und das Skandalon zu einem Buchtitel machte. Ich rede von Bruce Marshall und seinem Buch Das Wunder des Malachias. Marshall machte vorsorglich zu Beginn seines Buches schon darauf aufmerksam, dass selbst Leute, die „Wunder“ eigentlich ernst nehmen sollten, davon peinlich berührt werden: „Und überhaupt sind Wunder heutzutage aus der Mode gekommen. Wenn sich eins im Schlafzimmer unseres hochwürdigsten Herrn Bischof ereignen würde, täten Seine Gnaden alles, um den ungehörigen Vorfall zu vertuschen.“, lässt er darin seine Figur Kaplan Neary sprechen.

Suhrkamp Verlag hält Roman über Auferstehung für postmodernes Wortgeklingel

Ähnliches berichtet Patrick Roth von seiner Erstveröffentlichung von Riverside, des ersten Teils der Trilogie bei Suhrkamp. Suhrkamp druckte dieses Werk, weil die Wortakrobatik und das schillernde Gedankenmosaik den Verleger offenbar postmodern beeindruckte. Als der Verlag aber merkte, dass der Autor an die dahinter verborgene, biblisch-prophetische Substanz glaubte und er nicht ein bloßes Wortgeklingel abgeliefert hatte, war man an weiteren Veröffentlichungen nicht mehr interessiert.

Patrick Roth geht es also in seiner „Christus Trilogie“ um das Zentrum, die Mitte der Biographie jenes Galiläers, einem Menschen aus Fleisch und Blut, in dem ein Durchbruch in eine andere Wirklichkeit erfahrbar geworden ist. Im ersten Teil von „Riverside“ begegnen uns zwei Jünger des Apostels Thomas, dem kritischsten Kopf der Evangelien in einer fast kriminalistisch anmutenden Recherche. Klar ist zu diesem Zeitpunkt, dass der auferstandene Christus die grausame Kausalität des Todes zerbrochen hat, also das bedeutendste Wunder des Christentums schon geglaubt wird.

Dem ehemaligen „ungläubigen“ Thomas bereitet aber jetzt gläubig ein anderes Geschehen Kopfzerbrechen: Es wird erzählt, dass es Jesus zu Lebzeiten nicht gelungen sei, einen Aussätzigen zu heilen und er so in seiner Allmacht wenigstens einmal gescheitert sei. Dieser Aussätzige lebt noch. Zu ihm schickt Thomas seine Jünger, nicht, um wie im Evangelium ein Wunder zu bezweifeln, sondern umgekehrt, um verstehen zu können, weshalb der Wundertäter einmal gescheitert ist.

Auferstehung durchbricht die Einmauerung in die säkulare Welt

Auch im zweiten Teil der Trilogie wird Aufsehenerregendes zum Thema. „Johnny Shines oder die Wiedererweckung der Toten“ spielt in der Gegenwart und in der Mojavewüste Kaliforniens. Johnny Shines ist ein Sonderling. Als Kind eines Pfarrers hat er ein für ihn traumatisches Erlebnis. Er fragte seinen Vater, ob man Gott sehen könne. Der Vater verneinte die Frage und sagte, man könne ihn aber hören, wenn man zu ihm beten würde. Trotz aller Anleitungen gelingt es Johnny nicht, ihn zu hören. In der Rahmengeschichte taucht Johnny bei Beerdigungen auf und versucht im Moment der Bestattung der Toten, diese zum Leben zu erwecken. Das erweckt den Anschein, als wolle er Transzendenz erzwingen, weil sie sich ihm in seiner Kindheit nicht eröffnet und geschenkt hat. Er lässt sich von seinem Tun nicht abhalten und versucht immer wieder, Tote bei Beerdigungen zu erwecken.

Im zweiten Teil der Trilogie sind wir also in der Gegenwart angekommen. Der überlieferte Glaube aus dem ersten Jahrhundert soll in der ganzen Wirkmächtigkeit des damaligen Ereignisses auch in unserem Jahrhundert wirksam werden, eherne Kausalitäten durchbrechen. Die sonderbare Erzählung mit einem Sonderling als Protagonisten beschreibt das unentrinnbare Eingefügtsein in eine durch und durch säkulare Welt.

Wer diese Einmauerung durchbrechen möchte, fällt unangenehm auf, macht sich lächerlich, wird nicht ernst genommen und ständig daran gehindert, den Durchbruch in eine andere Wirklichkeit zu leben, die für den Autor die Tiefenstruktur alles uns sinnhaft Zugänglichen ist. Johnny Shines wird zum Idioten in einer Wüstenlandschaft, die für trostlose Säkularität steht, geradeso wie Fürst Myschkin in Dostojewskis gleichnamigem Jesus-Roman Der Idiot als absolut lauterer Mensch in der durch und durch intriganten St. Petersburger Gesellschaft des 19. Jahrhunderts leben muss.

Ein Grab das schon voll war, wird wieder leer

Im dritten Teil der Trilogie „Corpus Christi“ verlässt der Autor wieder die Gegenwart und entwickelt die grandioseste Idee der christlichen Literaturgeschichte: Er platziert eine Zeugin der Auferstehung am Ort, im Grab und zur Zeit in der Nacht des Geschehens. Alle Zeugen in den Evangelien sind zu spät gekommen: am Morgen danach ist der Stein schon weg gewälzt.

Ein Literat hat hier den Mut, der bei vielen Theologen erst noch zu suchen ist. Eine stattliche Reihe von ihnen nimmt nicht einmal die Berichte der Evangelien ernst und glaubt nicht, dass das Grab leer war. Wenn das Grab voll war, wie konnte der Glaube an Auferstehung entstehen? Auch eine Hegelsche List der Vernunft ist meines Erachtens überfordert, zu erklären, wie die Angst der Jünger von Gründonnerstag und Karfreitag, ohne dass noch etwas nach dem offensichtlich katastrophalen Scheitern am Kreuz geschehen ist, am Ostersonntag oder danach verschwunden ist. Auch die Gefahr für die Jünger Kollaborateure zu sein, bestand weiter in einer für sie unveränderten politischen Lage an Pfingsten oder danach.

Trotzdem sind sie offensichtlich todesmutig auf die Straßen gegangen. Auch als es die ersten das Leben gekostet hat, sind sie nicht eines Besseren belehrt worden. Für reine Hirngespinste lässt sich niemand umbringen. Dass es diese Geschichte vom zweifelnden Thomas, der seine Finger in die Wunden legen wollte in der neutestamentlichen Textüberlieferung überhaupt gibt, zeigt zumindest das Problembewusstsein der ersten Zeugen: Es konnte sich bei der Auferstehung Jesu nicht bloß um Verkündigung in den Köpfen der Jünger handeln, sondern um eine Wirkung in der alltäglichen Welt; eine Wirkung allerdings ohne vorhergehende alltägliche Ursache. Die übliche Kausalmechanik der Welt hat hier eine unerklärliche Bruchstelle bekommen.

Der Tod verliert ein Heimspiel im Grab

Patrick Roth ist an dieser Stelle glasklar. Seine Protagonistin wird Zeugin des Ungeheuerlichen: Der Tod, die stärkste Macht der Welt, der jedes Menschenleben und auch jede hymnisch gefeierte Liebe zerstört, oft in grausamster Weise, ist im Grab, dem Nullpunkt alles weiteren Wirkens schlechthin, besiegt worden, also für den Tod in einem Heimspiel. Das ist ein Osterwitz! Die Ostkirche hat es erkannt, wenn sie an Ostern Witze erzählt. Alle Kausalität des Zersetzens und Verwesens erlebt eine Schubumkehr. Der Leib des eigentlich Toten entzieht sich diesem Prozess des Zersetzens in unbegreiflicher Weise. Am Nullpunkt allen Wirkens beginnt ursächlich, unerklärlich neues Wirken.

„Das Leid der Erde ist selig geworden, weil es geliebt wurde.“

Bei Patrick Roth überschlagen sich an diesem Ort Bilder und Sprache. Menschliche Ausdrucksweisen werden überwältigt. Kein Wort, kein Bild, kein Ausdruck, kein Eindruck ist fähig zu beschreiben, was da geschehen ist. Dem Autor ist es in genialer Weise gelungen – sich sprachlich selbst überwältigend – darzustellen, was Christen glauben oder besser glauben sollten, noch besser glauben dürfen: Mit Gertrud von Le Fort gesprochen: „Das Leid der Erde ist selig geworden, weil es geliebt wurde.“

Alles in allem ein großartiges Werk über das Zentrale des Christentums. Durch Gottes Menschwerdung in einem Galiläer ist tatsächlich „das Wort (leibhaftig) Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt … Und wir haben seine Herrlichkeit (der Auferstehung) gesehen.“ Fast zweitausend Jahre nach dem Ende der Kanonbildung und der Johannesapokalypse hat wieder ein Wort- und Schriftzeugnis von dem ungeheuerlichen Geschehen berichtet, das letztlich eine Umdatierung der Zeit bewirkt hat: Wenigstens einmal ist ein Grab dann doch leer geblieben, obwohl der Tod es schon gefüllt hatte.

Und meine ganz persönliche Meinung, da gehe ich vielleicht über Patrick Roth hinaus: 33 Jahre zuvor ist dagegen der Schoß einer Frau mit Leben gefüllt worden, ohne Mitwirkung eines Mannes. In einem Hymnus des 12. Jahrhunderts konnte die Jungfrau Maria noch „terra non arabilis, quae fructum parturiit“ genannt werden. Das bedeutet etwa „auf nicht bestelltem Feld ist dennoch eine Frucht hervorgegangen“. Es ist ein überhaupt nicht Erwartbares, ja sogar völlig Ausgeschlossenes geschehen. In allerdings allen Religionen der Welt ist nach den Kriterien aufgeklärter Vernunft normalerweise eigentlich völlig Ausgeschlossenes immer oder hin und wieder möglich.

Auferstehung ist eine Unterbrechung der 37°-Welt

Unter dieser Hinsicht wird eine vielleicht verblüffende Definition von Johann Baptist Metz verständlich: „Religion ist Unterbrechung.“ Was wird unterbrochen? Kurz: Ein prinzipiell zurechenbares Ursache-Wirkungsgefüge. Genauer: Wir alle werden in einer 37°-Welt groß, kosmisch betrachtet in einer 310,15° Kelvin-Welt, ein recht schmales Temperaturtableau im Universum.  Jeder von uns hat schon einmal erfahren, dass diese Welt – wenn sie mich betrifft – hin und wieder durch Fieberträume durchbrochen wird. Schon bei einer läppischen Erhöhung von zwei oder drei Grad Körpertemperatur sehen wir buchstäblich weiße Mäuse, die kein anderer sieht, der im gleichen Raum anwesend ist. Ist Religion also ein Fiebertraum, ein Opiumrausch, wie schon Karl Marx vermutete? Johann Baptist Metz hat seine Definition so ganz gewiss nicht gemeint und auch Patrick Roth sieht Religion meines Erachtens so nicht.

Religion – Ausweitung der Kampfzone?

Man könnte sagen, Religion ist – in einem anderen Sinne wie es Houellebecq meint – eine „Ausweitung der Kampfzone“, eine Ausleuchtung auch des Unbewussten, wie Patrick Roth immer wieder mit Bezug auf C. G. Jung hinweist. Vieles ist in uns traumhaft verborgen und wird nachts, wenn das Wachbewusstsein „schläft“ aufgeweckt und kommt genau so, nämlich „förmlich wachgerüttelt“, ins Bewusstsein, mit dem Gedanken, was soll das? Aber nicht alle Träume sind Schäume.

Sehr vieles was in der 370 Welt unbeachtet bleibt – meistens sind es Gefühle, aber auch Sinneswahrnehmungen, die vom Wachbewusstsein aussortiert und außen vor gelassen worden sind – ist zurecht einer Zensur zum Opfer gefallen. M. E. ist Religion nicht nur eine Ausleuchtung des Unbewussten, sondern viel mehr noch eine Ausweitung ins Transbewusste. Und das Christentum legt die Latte noch höher: Aus diesem Transbewussten glaubt es, dass ein historischer Abstieg in den normalen Bewusstseinshorizont einer 370 Welt geschah, nicht bloß subjektiv, sondern sogar kosmisch in eine 310,150 Kelvin Welt, mit der Menschwerdung Gottes in dem Galiläer Jeschua ben Marjam.

Religion – eine Tapezierung unseres Unter- und Unbewusstseins?

Patrick Roth ist es in ausgezeichneter Weise gelungen diese Chiffren im Unbewussten zu „lesen“, die von Transbewusstem künden. Wie aber Unbewusstes von Transbewusstem unterscheiden? Handelt es sich nicht doch nur um eine farbige, exotische, individuelle Tapezierung des Raums unseres jeweiligen Un- oder Unterbewusstseins?

Man könnte die Frage Karl Rahners an Hans Urs von Balthasar auch Patrick Roth stellen. „Woher weiß der das?“ Ist das nicht doch bloß postmodernes Wortgeklingel, wie es den Suhrkamp-Verlag, vielleicht auch sogar Marcel Reich-Ranicki kurzzeitig beeindruckte? Eben bloß eine bunte Tapete an den Wänden des Unterbewusstseins Patrick Roths, die dieser damals in „Riverside“ zum Besten gab?

Hans Urs von Balthasar antwortete damals: Sein Werk und das der Ärztin Adrienne von Speyr  sei Eines, wie die eine und die andere Seite derselben Münze. Adrienne von Speyr war eine mystisch begabte Frau. Hans Urs von Balthasar hatte ein Kriterium die mystische Schau, die die Seherin aus ihrem Unterbewusstsein in das Bewusstsein wendete, von Transbewusstem zu unterscheiden. Die Hl. Schrift, die apostolischen Väter und die Kirchenväter, also die Nähe zu dem ursprünglichen Christusereignis, waren die Kriterien, das Unterbewusstsein der Seherin von dem wirklich Transbewussten zu unterscheiden.

Es trat also nichts Neues in Erscheinung, sondern das immer schon Überlieferte und im Glauben Gedeutete fand eine neue Illustrierung, die nicht nur bestimmten hermeneutischen, sondern häufig auch einen überraschenden heuristischen Charakter hatte. Eine Theologie, die sich in den spanischen Stiefeln kantischer Logik bewegt, sieht darin nur Hirngespinste und neue Geisterseher vom Format Swedenborgs.  Offenbarung in diesen Kategorien war dann bestenfalls eine Ausleuchtung dessen, was in einen menschenmöglichen Sprach- und Bewusstseinshorizont passte.

Die „Heimholung der Welt unter dem Monde“ in die Liebe

Offenbarung ist aber nach den Kriterien Hans Urs von Balthasars eine Überwältigung nicht nur der Sinne, sondern auch des menschlichen Sprach- und Bewusstseinshorizonts. Und genau dies beschreibt Patrick Roth in der Grabesszene von „Corpus Christi“. Nicht nur dort, sondern in seinem ganzen Werk. Es ist eben kein bloß postmodernes Wortgeklingel, das nur literarisch entzückt, sondern eigentlich ein Aus- und Aufbruch in die Unsagbarkeit und Wortlosigkeit, eine das Mysterium „zur Sprache bringende“ moderne Glossolalie. Diese eigentlich sprachlose Sprache markiert das von anderswoher Ergriffenwerden.

Es kommt Martin Bubers Übersetzung des Vorübergangs des Herrn am Berg Horeb gleich: Elija nahm nach der Epiphanie der Elementarmächte eine Stimme verschwebenden Schweigens (1 Kön 19, 11-12) wahr. Patrick Roth gleicht in dieser Hinsicht dem, was dem Propheten Elija widerfahren ist und dem Seher von Patmos. Er wird zu einem Seher des Christusereignisses zur jetzigen Jahrtausendwende.

Aus dem Karussell wilder Träume treten im Rahmen des christlichen Kerygmas Perspektiven hervor, die dem „Hinaushängen ins Nichts“ Heideggers eine christliche Alternative entgegensetzen: Dem sich Hineingeben eines Gottes in „die Welt unter dem Monde“ (Aristoteles), um auch diese „aus der Fremde“ (Helmuth Plessner) endgültig in seine Liebe heimzuholen.


Dr. phil. Helmut Müller
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag.

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