Die Wahrheit der Dinge bleibt bestehen, selbst wenn der menschliche Geist nicht wäre. Guido Rodheudt zeigt anhand der Philosophie Josef Piepers, wie der Synodale Weg durch seine Neudeutung von Menschenbild und Offenbarungsquellen aber auch durch Hinwendung zu Humanwissenschaft und Lebenswirklichkeit als neue Meßgröße des Glaubens, tatsächlich das Erkennen der göttlichen Wahrheit verhindert.

Wie immer bei Reformen aus dem Beamtenmilieu lebt auch der Synodale Weg in erster Linie von aus zweiter Hand informierten Funktionären. Zu deren Ehrenrettung muß vermutet werden, daß sie sich scheinbar kaum in ausreichendem Maß mit der Herkunft dessen beschäftigt haben, was sie vollmundig als Notwendigkeit zur Erneuerung der Kirche vermelden. Ebensowenig scheinen sie sich Gedanken über die Konsequenzen dessen zu machen, was sie in demokratischer Manier zum Abschuß freigeben.

Mit „Wissenschaft“ gegen Glaube

Am herausragendsten ist da sicher die geforderte Änderung der Sexualmoral. Und sicher auch die publikumswirksamste. Denn die Tagesschau interessiert sich natürlich weniger für Fragen der Sakramententheologie als dafür, was die für ihre vermeintlichen Restriktionen bekannte katholische Kirche in Sachen Sexualität in Kürze abzuschaffen, zu erlauben oder gar zu empfehlen beabsichtigt.

Drehscheibe für die erstaunliche Unbedenklichkeit und Kühnheit einiger Oberhirten, mit Katechismuswahrheiten aufzuräumen, ist das Kartell der Humanwissenschaften, die ihnen – so wird bekundet – ein anderes Menschenbild errechnen, als es die Heilige Schrift und die Tradition der Apostolischen Verkündigung bislang verordnet haben. Man konnte hier und da geradezu die Erleichterung im Kreis der Bischöfe spüren, argumentativ Schützenhilfe aus „der Wissenschaft“ zu bekommen, um jene Zöpfe, deren Berechtigung man selbst offenbar nie recht verstanden hat, endlich abzuschneiden.

Im besten Fall Ahnungslosigkeit

Im Jahr seines 25. Todestages ist es deswegen erhellend und dramatisch zugleich, die Gedanken des Münsteraner Philosophen Josef Pieper zum Bild vom Menschen erneut zu rezipieren. Erhellend, weil die Philosophie Piepers nicht nur für Christen hilfreich ist, ein wirklichkeitsgemäßes Menschenbild zu entwickeln, und dramatisch, weil sich der Eindruck bestätigt, daß sich die Mehrzahl der Verantwortlichen bislang nie in der nötige Tiefe mit der Frage des Menschenbildes befaßt hat. Wenn spätere Generationen einmal die Unbedenklichkeit zu bewerten haben, mit der irreversibel die Gedankenrichtung geändert und die Autonomie des Menschen gegen sein von Gott geschenktes Wesen ausgetauscht wurde, man würde bei einem milden Urteil sicher am ehesten von Ahnungslosigkeit sprechen, die Ursache für den Abschied von Lehre und Tradition war.

Die Wahrheit der Dinge

In aller Kürze: Dreh- und Angelpunkt ist die Frage der Beziehung von Leib und Geist und die dieser Frage vorausliegende Frage nach der Wahrheit. Josef Pieper versteht in der Tradition einer realistischen Erkenntnislehre die Wahrheit als den Hervorgang aus dem Zusammentreffen von existierenden Dingen und menschlichem Erkenntnisvermögen, das die Wahrheit der Dinge durch ihr Erkennbarsein abzubilden vermag.

Grund für die Erkennbarkeit der Dinge und ihre innere Geistbezogenheit liegt in ihrer Schöpfung durch einen göttlichen Geist. Daraus ergibt sich: die Wahrheit der Dinge bleibt bestehen, selbst wenn der menschliche Geist nicht wäre. Und die Wahrheit bliebe bestehen, selbst dann, wenn es keine Dinge mehr gäbe. Der primäre Ort der Wahrheit ist der erkennende Gottesgeist, der vorgängig und unabhängig vom menschlichen Intellekt den Dingen Sein und Erkennbarkeit verleiht.

Wenn also kein menschlicher Geist mehr existieren würde, um die Dinge zu erkennen, würde ihre Wahrheit deswegen noch nicht ausgetilgt, denn sie liegt ja zunächst und vornehmlich im Erkennen Gottes. Ebenso wäre das Verschwinden der Dinge kein Anlaß ebenfalls von einem Verschwinden der Wahrheit zu sprechen, weil die Wahrheit des göttlichen Verstandes bestehen bliebe. Erst der Ursprung im Erkennen Gottes macht aus der Wahrheit eine transzendentale, d.h. eine allem Seienden zukommende Eigentümlichkeit, die nicht aus ihm selbst oder aus dem menschlichen Erkennen, sondern aus der es übersteigenden Wahrheit Gottes stammt – so viel zur Frage der Wandelbarkeit der Wahrheit.

Ich bin, also denke ich?

Demgegenüber steht in den Texten des Synodalen Wegs – bewußt oder unbewußt – eine Form von Anthropologie, die die Weltoffenheit, das heißt die Zugriffsmöglichkeit des Menschen auf die Welt, nicht aus der Geistigkeit des Menschen ableitet, sondern aus seiner Biologie. Erkennen wird in dieser Sichtweise eine Art Mangelkompensation oder Überlebensfunktion.

Die paradoxe Folge: das Wesen des Menschen ergibt sich aus seinem Handeln und dieses wiederum ist das Ergebnis seiner biologischen Verfassung, weshalb der Mensch einerseits durch diese Biologisierung gegenüber einer geistigen Wesensbeschreibung degradiert wird (Geistigkeit ist danach ja nur etwas Biologisches) und andererseits durch die aus seinem kompensatorisch verstandenen Handeln heraus entstehende Selbstwerdung unangemessen und wirklichkeitswidrig erhöht wird (weil das Gesetz der Wirklichkeit aus dem Menschen kommt).

Nur noch subjektive Weltsicht

An dieser Stelle stellt der Synodale Weg ganz offensichtlich die Weichen falsch. Und zwar, was die Verbindung von Geistigkeit und Leibhaftigkeit des Menschen betrifft. Nach der Vorstellung, nach der die Wirklichkeit aus dem Subjekt hervorgeht und es mithin keine objektive und unwandelbare Wahrheit geben kann, hat sich die reformeifrige Versammlung dafür entschieden, daß nicht das Wesen der Dinge, sondern der Mensch selbst die „Welt“ des Menschen entstehen läßt. Handeln bemißt sich deswegen nicht nach der Wahrheit, sondern nach dem Subjekt. Damit ist der Mensch eingeschlossen: in eine durch die organische Verfassung nicht überschreitbare „Natur“ und in eine durch ihre Absolutheit in sich selbst verkapselte Subjektivität.

„Lebenswirklichkeit“ statt Wahrheit in Christus

Josef Pieper leitet hingegen die Frage nach dem Menschen in der Tradition klassisch-abendländischer Metaphysik von den zentralen Aussagen über die Wahrheit der Dinge ab und ordnet das Wesen des Menschen in die Universalität der Seinswelt ein: um wesensgemäß zu leben, muß der Mensch wirklichkeitsgemäß leben. Und „wirklichkeitsgemäß“ heißt „wahrheitsgemäß“ – für einen Christen zugleich: „christusförmig“. Ein Begriff, der freilich in der modernen Bibelauslegung längst eine hermeneutische Atomisierung erfahren hat.

Im Abgleich entsteht der dramatische Befund, daß die „synodale“ Anthropologie die auf den Strukturen menschlicher Subjektivität aufruhende „Lebenswirklichkeit“ zur Grundvoraussetzung des Abschieds von einem offenbarungskompatiblen Menschenbild macht.

Durch die Abwendung von der metaphysischen Bestimmungen des Menschen, ein erkenntnis- und wahrheitsfähiges Wesen zu sein, das zu sich selbst erst kommen kann, wenn es die Wahrheit „tut“, kann also jenes gerade nicht mehr geleistet werden, das in den Blick zu nehmen die Synodalen angetreten sind, nämlich ein wirkliches Verständnis des Menschen.

Es wäre der Rat Josef Piepers, um des Menschen willen die Weichen in Frankfurt neu zu stellen und die Welt vor einer im Gewand vermeintlicher Zeitgemäßheit verkleideten systematischen Verkümmerung des Menschseins zu bewahren.

 


Dr. phil. Guido Rodheudt

Jahrgang 1964, nach Studium der Theologie und Philosophie in Bonn und Augsburg 1989 Priesterweihe im hohen Dom zu Aachen. Nach einer Zeit des seelsorglichen Einsatzes als Kaplan Studium an der Philosophischen Fakultät der Universität Regensburg, Promotion zum Doktor der Philosophie im Jahr 1996. Seit dem Jahre 2000 leitender Pfarrer in Herzogenrath, Bistum Aachen. Langjähriger Ausrichter und spiritus rector der Internationalen Kölner Liturgischen Tagung und seit 2004 Veranstalter der Herzogenrather Montagsgespräche. Autor der Tagespost und des Vatican Magazin.

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