Das jüngste römische Schreiben „Fiducia supplicans“ (FS) wird weiter lebhaft diskutiert. Bevor Einzelfragen sachgerecht diskutiert werden können, hält der in der Schweiz lehrende Theologe  Martin Brüske eine sorgfältige Gesamtdeutung für unverzichtbar. Vorher aber ist das Verhältnis von FS zum Responsum von 2021 und zum deutschen „Synodalen Weg“ zu klären. Sein Fazit: FS taugt weder zur Vereinnahmung durch Anhänger des deutschen „Synodalen Weges“ noch taugt der Vorwurf, damit würde eine neue Lehre geschaffen. Vielmehr bleibt der Vatikan der bisherigen Lehre treu.

Fiducia supplicans, Responsum, Synodaler Weg – eine Verhältnisbestimmung in Frage und Antwort

Bevor hier demnächst eine sorgfältige Gesamtdeutung von Fiducia supplicans versucht werden wird, sollen zum einen einige Abgrenzungen und Klarstellungen erfolgen, zum anderen aber Kritik an der römischen Erklärung selbst einer kritischen Überprüfung ausgesetzt werden. Die Abgrenzungen dienen der Profilierung des Dokuments, die eine Gesamtdeutung überhaupt erst sinnvoll macht. Schon hier ist viel Verwirrung entstanden: FS wurde gelesen als verneinende Revision des Responsums vom Februar/März 2021 und damit als Schritt in Richtung der Bestrebungen des sogenannten Synodalen Weges in Deutschland. Beides trifft nicht zu. Fiducia supplicans bejaht das Responsum vollständig und steht in ausschließendem Widerspruch zum Synodalen Weg. Um der Klarheit willen wird diese Abgrenzung in Frage und Antwort vorgenommen.

Auf welchen Gegenstandsbereich bezog sich das Responsum von 2021 und wie hat es ihn geordnet?

Das Dubium, das der Antwort zugrunde liegt, fragt nach der Vollmacht der Kirche, Verbindungen (engl. unions) gleichen Geschlechts zu segnen. Diese Frage wird verneint.

Die genauere Bestimmung des Gegenstandsbereichs dieser Aussage wird in der nota explicativa, die Teil des Lehrdokuments ist, deutlich. Es handelt sich zum einen um Liturgie in Form von Sakramentalien: „Unter den liturgischen Handlungen der Kirche sind Sakramentalien von besonderer Bedeutung…“, dann: „Zur (sic!) den Sakramentalien gehören Segnungen…“, weiter: „Um der Natur der Sakramentalien zu entsprechen, ist es deshalb erforderlich…“, schließlich: „Die Erklärung der Unzulässigkeit von Segnungen der Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts ist daher weder eine ungerechte Diskriminierung noch enthält sie die Absicht, eine solche zu sein, sondern ruft die Wahrheit des liturgischen Ritus (Hervorhebung M.B.) in Erinnerung und das, was dem Wesen der Sakramentalien zutiefst entspricht, so wie die Kirche sie versteht.“ Es geht also um Segnungen im Bereich der Sakramentalien und um diese wiederum im Bereich liturgisch geformter Sakramentalien (Sakramentalien als „liturgische Handlungen“).

Von diesen liturgischen Segnungen im Bereich der Sakramentalien wird nun zum anderen gesagt, dass sie sich nur auf etwas beziehen können, das der Schöpfungsordnung entspricht. Gleichgeschlechtliche Verbindungen, die Sexualität einschließen, genügen diesem Kriterium nicht. Sie können deshalb als solche und in dieser Weise nicht gesegnet werden.

Dies gilt ausdrücklich auch für stabile Verbindungen. Auch die in ihnen realisierten sittlichen Güter können sie als sexuelle Verbindung nicht rechtfertigen.

An dieser Stelle ist für den Weg, den Fiducia supplicans geht, von zentraler Bedeutung, dass diese sittlichen Güter zwar, wie gesagt, die sexuelle Beziehung als darin einbezogene nicht rechtfertigen können, dass sie aber in sich als sittliche Güter anerkannt werden.

„Das Vorhandensein positiver Elemente – die in sich betrachtet dennoch zu schätzen und hervorzuheben sind (Hervorhebung M. B.) – in solchen Beziehungen ist trotzdem nicht in der Lage, diese zu rechtfertigen und sie daher rechtmäßig zum Gegenstand einer kirchlichen Segnung zu machen, weil diese Elemente im Dienst einer Verbindung stehen, die nicht auf den Plan des Schöpfers hin geordnet ist.“

Der Skopus der Ausführungen der nota liegt nun entscheidend in folgendem Zusammenhang: „…sie erklärt jedoch jede Segnungsform für unzulässig, die dazu neigt, ihre Verbindungen anzuerkennen. In diesem Fall würde die Segnung nämlich die Absicht zum Ausdruck bringen, nicht bestimmte Einzelpersonen dem Schutz und der Hilfe Gottes im oben genannten Sinne anzuvertrauen, sondern einen Entschluss und eine Lebenspraxis zu billigen und zu fördern, die nicht als objektiv auf die geoffenbarten Pläne Gottes hin geordnet anerkannt werden können.“

Es wird also jede Form von Legitimierung – Anerkennung, Billigung, Förderung sind die verwendeten Begriffe – abgelehnt, die durch einen öffentlichen, weil liturgischen Segen erfolgt und der gleichgeschlechtlichen Verbindung in ihrer Ganzheit, damit auch in ihrem sexuellen Charakter, gelten würde. Genau dies würde diesen Segen in einer fatalen Weise der Liturgie der Eheschließung angleichen. Diese Angleichung liegt dann übrigens keineswegs an der bloß äußerlichen Nähe zu bestimmten liturgischen Einzelelementen, sondern wäre grundsätzlich gegeben. Der liturgische Charakter in seiner Öffentlichkeit, die Legitimierung des moralisch nicht Legitimierbaren und die fatale Angleichung an die Ehe hängen also sachlich und im Responsum auf engste Weise zusammen. Genau diesem und allein diesem Zusammenhang widmet sich das Responsum. In diesem Zusammenhang kann der Segen nur Einzelpersonen gelten. Darin ist das Responsum eindeutig. Dagegen wird die Frage, ob es jenseits diesen Zusammenhangs Möglichkeiten einer segnenden Zuwendung auch zu Paaren gibt, im Responsum auf Grund seines Gegenstandsbereichs gar nicht erörtert! Erst Fiducia supplicans wird genau diese Frage stellen.

Wird das Responsum in seiner Geltung durch die Erklärung Fiducia supplicans in seiner Geltung verneint, eingeschränkt oder verändert?

Die Antwort lautet klar und eindeutig „Nein“! Alles was im Responsum geregelt wurde, bleibt in seinem Gegenstandsbereich vollständig und einschränkungslos in Kraft. Es darf weiterhin keinerlei liturgische Segnungen gleichgeschlechtlicher Verbindungen geben. Es darf darüber hinaus keinerlei Segnung geben, die den sexuellen Charakter der Beziehung legitimiert. Dies gilt in FS als uneingeschränkte Maxime. Die dahinterstehende Lehre von der Ehe und ihre sexualethischen Implikationen werden vollständig bewahrt. Jede Nähe zur Ehe wird überdeutlich abgewiesen. Dies alles wird hier demnächst noch einmal im Zusammenhang verdeutlicht werden. Hier sei zunächst nur auf folgende Stelle verwiesen, die die Anerkennung der Geltung des Responsums klar macht:

„11. Ausgehend von diesen Überlegungen erinnert die Nota explicativa zum oben genannten Responsum der vormaligen Glaubenskongregation daran, dass, wenn bestimmte menschliche Beziehungen durch einen besonderen liturgischen Ritus gesegnet werden, das, was gesegnet wird, den in die Schöpfung eingeschriebenen und von Christus, dem Herrn, vollständig geoffenbarten Plänen Gottes entsprechen muss. Da die Kirche seit jeher nur solche sexuellen Beziehungen als sittlich erlaubt ansieht, die innerhalb der Ehe gelebt werden, ist sie nicht befugt, ihren liturgischen Segen zu erteilen, wenn dieser in irgendeiner Weise einer Verbindung, die sich als Ehe oder außereheliche sexuelle Praxis ausgibt, eine Form der sittlichen Legitimität verleihen könnte. Der Inhalt dieser Erklärung wurde vom Heiligen Vater in seiner Antwort auf die Dubia von zwei Kardinälen bekräftigt. (Hervorhebung M. B.).

Dies ist selbsterklärend, vollkommen eindeutig und hat am Ende den ausdrücklichen Charakter der Bekräftigung des Responsums.

Ähnlich schon Nr. 5, in der die als „Recht und Pflicht“ deklarierte Lehre der Kirche auch als Sinn des Responsums namhaft gemacht wird:

„5. Dies entspricht dem Verständnis der Ehe, das das Evangelium vorlegt. Deshalb hat die Kirche das Recht und die Pflicht, in Bezug auf Segnungen jede Art von Formen zu vermeiden, die dieser Überzeugung widersprechen oder zu Verwirrung führen könnten. Dies ist auch der Sinn des Responsums der vormaligen Glaubenskongregation, in dem es heißt, dass die Kirche nicht befugt ist, gleichgeschlechtlichen Verbindungen den Segen zu erteilen.“

Man kann zusammenfassen: Logisch wird aus keiner Aussage A im Responsum ein Non A in Fiducia supplicans!

Wieso spricht FS dann von „Klarstellung“ und sogar von „Weiterentwicklung“?

Wie gezeigt, kann das Verhältnis von FS zum Responsum nicht als Negation, Einschränkung oder Rücknahme gekennzeichnet werden. Was dort verneint wird, wird hier nicht bejaht. Tatsächlich wird in Fiducia supplicans ein Horizont jenseits des im Responsum geregelten Bereichs geöffnet. Das „Neue“ – das, wie demnächst noch zu zeigen ist, der Sache nach keinesfalls eine illegitime Neuerung ist – liegt darin, dass im seelsorgerlichen Umgang mit gleichgeschlechtlichen Paaren die Frage nach dem Segen nicht durch die Frage nach dem legitimierenden liturgischen Segen, der den sexuellen Charakter der Beziehung bejahen würde, erschöpft ist. Ist das ein „Trick“ (wie manche Kritiker meinen), führt dies zu Widersprüchen (wie wiederum andere meinen) oder ist das wohlerwogen und sachrichtig? Dies wird hier, wie gesagt, demnächst eigens erörtert werden. Zunächst war ja hier die Frage nach dem Responsum in seinem Verhältnis zu FS zu stellen und zu klären.

Der grundlegende und entscheidende Hinweis kann vor der notwendigen Einzelerörterung aber schon hier gegeben werden – und er macht zugleich klar, warum Fiducia supplicans nicht einmal ein „Schrittchen“ in Richtung „Synodaler Weg“ und der sich etablierenden Praxis in Deutschland geht.

Fiducia supplicans und das Responsum folgen auf Grund der identischen Lehre zu Ehe und Sexualität nämlich tatsächlich derselben praktischen Maxime: Ein Segen darf niemals das sittlich Nicht-Legitimierbare gleichgeschlechtlicher Verbindungen legitimieren. Genau dies ist aufgrund einer Lehre, die mit der Lehre der Kirche gebrochen hat, in Deutschland vielfach anders.

In welchem Sinn stehen Fiducia supplicans und die Bestrebungen in Deutschland im Zusammenhang mit dem sogenannten „Synodalen Weg“ in vollständig ausschließendem Widerspruch zueinander?

  1. FS bejaht die kirchliche Lehre von der Ehe (Mann und Frau, ausschließlich, lebenslang, fruchtbar) und ihre Implikation, dass der exklusive Ort menschlicher Sexualität genau diese Ehe ist, uneingeschränkt und vollständig. In Deutschland wird genau dies vielfach verneint.
  2. Entsprechend bekräftigt FS die Wertung gleichgeschlechtlicher Sexualität im Sinne des Katechismus. In Deutschland möchten nicht wenige Akteure dagegen die gelebte Sexualität in gleichgeschlechtlichen Verbindungen als grundsätzlich sittlich legitim, als „Normvariante“ menschlicher Sexualität, verstehen.
  3. FS lehnt jede Form der Ritualisierung / der liturgischen Formung von segnender Zuwendung zum gleichgeschlechtlichen Paar kategorisch ab. In Deutschland will man oft genau dies.
  4. FS formuliert Kriterien (vgl. Nr. 31 a) Bekenntnis der Armut/Bedürftigkeit b) kein Verlangen nach Legitimierung c) Vorhandensein sittlicher Güter) für die segnende Zuwendung auch zum gleichgeschlechtlichen Paar jenseits jeder Form von Legitimierung. (Ob und wie dies innerlich möglich ist, wird demnächst hier erörtert werden.) In Deutschland geht es auf der Basis von 1. – 3. genau um solche Legitimierung – programmatisch und überdeutlich.

Fazit:

Zwischen dem Responsum und FS besteht vollständige Übereinstimmung. FS erweitert jedoch den Horizont der Segnungsfrage über das Responsum hinaus. Alles dort Verneinte bleibt aber in FS ebenfalls verneint, weil umgekehrt die Ehelehre und ihre sexualethischen Implikationen gemeinsam bejaht werden. Zwischen FS und den Bestrebungen in Deutschland besteht dagegen ein harter, ausschließender Widerspruch. Alles, was man in Deutschland mancherorts anstrebt, wird kategorisch verneint und ausgeschlossen, nicht einmal ein kleiner Schritt in diese Richtung wird gemacht. Man muss schon sehr schräg lesen, um dies alles zu übersehen!


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.

Melden Sie sich für unseren Newsletter an