Ausgerechnet unsere emanzipierte und feministisch geprägte Gesellschaft degradiert Frauen zu Gebärmaschinen und Brutkästen. Himmelschreiend paradox! Patricia Haun stellt das neue Buch von Birgit Kelle über das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft vor.

Der moderne Mensch kauft und verkauft Kinder

Es ist als wäre es so abgesprochen: Das Buch „Ich kauf mir ein Kind“ von Birgit Kelle erscheint fast zeitgleich mit der vatikanischen Erklärung „Dignitas infinita“ über die Würde des Menschen. Wer dieses Buch liest, versteht sofort, warum es so wichtig ist, dass die Kirche die Finger in die Wunden unserer Zeit legt und sich eben nicht dem Zeitgeist anpasst. Wer glaubt, dass Sklaverei und Menschenhandel überwunden seien, muss mit Entsetzen feststellen: Der moderne Mensch kauft und verkauft Kinder!

Das Produkt „Baby“

Aussuchen im Katalog, Bestellen in USA, Ukraine oder Georgien, Bezahlung und Abholung nach Fertigstellung. Die Rede ist vom „Produkt Kind“. Babys werden wie Ware auf dem Weltmarkt gehandelt. Mütter werden zu Brutstätten, Produktionsfehler will keiner. So anschaulich beschreibt die Autorin dieses schaurige Thema. Man muss es mit solchen Begriffen überziehen, um den ganzen Horror offenbar zu machen.

Ein schicker Trend mit zutiefst schmutziger Kehrseite

Fremdgebären lassen ist im Trend unter den Reichen und Schönen aus der Glamourwelt. Birgit Kelle hat dazu etliche prominente Namen recherchiert, Berichte in Magazinen gelesen und Reportagen angeschaut. Sie skizziert groteske Familienkonstellationen. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über den Kitsch und die Oberflächlichkeit dieser Stories schmunzeln. Das Tragische: Die Leihmutterfabrikanten nutzen dieses Storytelling und solche Filmproduktionen der öffentlich-rechtlichen und privaten Sender zu Werbezwecken.

Rabattschlacht um Kinder im Sonderangebot

Es findet sich viel Realsatire in dem Buch, zum Beispiel über die Geschäftstüchtigkeit einer Millionärin, die für den Preis, den andere für ein einziges Kind in Amerika bezahlen, gleich 20 Kinder aus Georgien ergattert hat. Schwarzer Humor a la „Heute-Show“. Unterhaltungswert mit Gruselfaktor.

Das schmutzige Geschäft in Mafia-Manier

Das Konzept »Kinder für alle« wird medial mit Hochglanzbildern pausbäckiger Kinder inklusive Jetset-Leben in­szeniert und damit auch noch beworben. Selbstverständlich läuft in diesen Geschichten alles nach Bilderbuch-Plan. Die Produktionsfehler, Familiendramen, oder die Frage, was aus den überzähligen Kindern im Kühlschrank werden soll, erspart man der Bevölkerung. Schließlich will man eine „schöne neue Welt“. Die Autorin hat für dieses Buch zahlreiche Kinderbücher gelesen und TV-Sendungen angeschaut, die herzzerreißend und allerliebst in das Thema einführen. Kelle deckt schonungslos die hässliche Kehrseite auf, indem sie unter anderem die zurückgelassenen blutigen Wöchnerinnen auf den Straßen der Armenviertel zeigt oder die abgetriebenen Kinder, die überzählig waren oder nicht dem gewünschten Gesundheitsstatus der Besteller entsprachen.

Von Prostitution, Zuchtstuten und Zuhältern

Die Ausbeutung armer Frauen verschweigen die Gazetten und Reportagen. Aus Perspektive dieser Frauen ist »Leihmutterschaft« Prostitu­tion 2.0 und zutiefst frauenfeindlich. Man hat noch nie gehört, dass eine reiche Frau sich als Mietmutter hergibt. Schließlich will sie sich nicht Figur, Karriere und Zeitmanagement ruinieren, geschweige denn das Geburtsrisiko tragen. Das soll niederes Personal gegen schmales Geld übernehmen. Die fette Kohle schöpfen die Zuhälter ab. Zuchtstuten sind auch nur Mittel zum Zweck.

„Babymessen“ in Deutschland

Die Medien bereiten in berührenden Narrativen vor, was später in Gesetzes­vorhaben legalisiert werden soll. Von Schwierigkeiten wird höchstens berichtet, um zu argumentieren, dass man das in Deutschland besser regeln könnte. Wieso auch Kinder im Ausland kaufen, wenn wir dies in Deutschland viel einfacher, schneller und bequemer umsetzen könnten. So das Thema politisch weitergesponnen. In Deutschland sind Leihmutterschaft und Eizellspende bisher verboten. Das Embryonenschutzgesetz betrachtet die Angelegenheit aus Sicht des Kindes. Auch die Vermittlung von Leihmüttern und somit die Werbung dafür sind verboten. Warum Deutschland dennoch eine Grauzone ist, die Rechtslage schier schizophren und warum es hier trotzdem sogenannte legale „Babymessen“ gibt, erklärt Kelle in einem eigenen Kapitel.

„Baby-Lieferando“

Der Supermarkt der unbegrenzten Möglichkeiten ist in der Realität ganz schön kompliziert: Die Länder unterscheiden zwischen erlaubt, verboten und nicht geregelt, altruistisch, kommerziell oder beides. Kundennachfrage, Produktion und Warenströ­me werden je nach Bedarf verschoben wie bei jedem anderen Produkt auf dem Welt­markt. Auf Wunsch gibt es auch eine Art Leihmutterschafts-Tourismus, je nach Gesetzeslage und Bequemlichkeit für die „werdenden Eltern“ reisen sie, die Eimutter, die Mietmutter oder das geborene Kind durch verschiedene Länder. Überhaupt kann man allerhand VIP-Leistungen bei Bestellung dazukaufen: von einer Flatrate für Mehrfachbefruchtungen über Umtauschrecht, Nabelschnurblut bis hin zur Gesund-Garantie: Für Geld ist alles möglich bei „Baby-Lieferando“. Die Geschäftemacher, man könnte sie auch Zuhälter nennen, verstehen ihr Brutkastengeschäft, das sie zum Beispiel in indischen Babyfabriken oder auf afrikanischen Baby-Farmen betreiben. Ja, die Begriffe sind brutal, aber bedauerlicherweise sehr treffend. Kelle hat – wie gewohnt – gut recherchiert. Dafür hat sie 2023 sogar eine Babymesse in Köln besucht und sich persönlich beraten lassen. Sie nennt Anbieter, Leistungen und VIP-Pakete sowie Preisvergleiche. Wenn man die recherchierten Zahlen der bereits geborenen „Leihmutterkinder“ liest, die früher oder später nach ihren leiblichen Eltern und Geschwistern suchen werden, wird einem schwindelig wie im Kinderkettenkarussell.

Babys auf Halde, Lieferkettenstau und wertlose „Bauchmütter“

Der Verdacht, dass sich Reiche aus Industrienati­onen Kinder als zukünftige Pflegekräfte für ihr Alter, zum Zweck der Kinderpornografie, Pädophilie oder sogar als Organspender in armen Ländern bestellen, ist naheliegend. Erzählt wird selbstverständlich gerne die berührende Geschichte von den kinderlosen Eltern, die sich sehnlichst ein eigenes Baby wünschen. Wer sich mit dem Gedanken an Leihmutterschaft trägt, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Es deckt die Verlogenheit dieses neuen „Industriezweiges“ auf, viele ungelöste Kollateralprobleme und die schamlose Ausbeutung von Frauen in armen Ländern. Man erfährt von Lieferkettenstau in der Corona-Zeit, von Babys in der Ukraine, die in Wäschekörben in Luftschutzbunkern auf Halde sind und auf Ausreisegenehmigung warten. Während schwangere Leihmütter ausgeflogen wurden, mussten jene, die schon geboren hatten im Krieg zurückbleiben. Die „Ware Kind“ wurde ohne nun wertlose Bauchhülle transportiert.

Der Traum vom Gott Spielen

Auch „Frankenstein“ lässt grüßen. Den Traum, selbst gottgleich „Schöpfer“ zu sein, versuchten sich bereits mehrere Ärzte zu verwirklichen: jeweils über 500 Kinder von demselben Vater, Klinikleiter und Ärzte – Einzelfall möchte man einwenden. Birgit Kelle dokumentiert gleich mehrere Fälle davon.

Kinderrechte?!

Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass wir die falschen Fragen diskutieren. „Es geht nicht um Ansprüche von Erwachsenen, sondern um die Rechte von Kindern, wie Menschen und nicht wie Sachen behandelt zu werden.“ Paradoxerweise wird aktuell das Thema „Kinderrechte“ wieder neu aufgelegt. Anscheinend ist das alles Auslegungssache und Augenwischerei.

Bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Paare, die mit dem Gedanken eines Kindes auf Bestellung liebäugeln, dieses Buch lesen und sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen.

Als Mutter fällt es schwer, dieses Buch zu lesen, angesichts des Grauens, das sich dahinter verbirgt. Kompliment an die Autorin, selbst vierfache Mutter, dass sie sich diese Recherchen angetan hat. Aber jemand muss diesen Kindern eine Stimme geben. Hoffentlich stimmen viele Leser in den Chor der Empörung mit ein.


Patricia Haun
Jahrgang 1971, ist freie Journalistin, Mutter von vier Kindern und Großmutter eines Enkels. Sie ist Mitgründerin von EuroProLife und Gründerin der „Gebetsvigilien für das Leben“ in Aschaffenburg und Frankfurt. Sie arbeitete zuletzt als Redaktionsleiterin für Durchblick e. V. und wirkt mit bei der Initiative „Neuer Anfang“.


„Ich kauf mir ein Kind“ – Das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft – Das neue Buch von Birgit Kelle: Hier erhältlich

Melden Sie sich für unseren Newsletter an