Martin Brüske betrachtet im Nachgang die 5. Synodalversammlung in Frankfurt. Er skizziert gewonnene Schlachten und Strategien, weist auf Gefahren zentrifugaler Kräfte und tickende Bomben hin. Über die Brisanz des deutschen Alleingangs und dazu die Stimmen aus Rom.

Für einige war es ein triumphaler Durchmarsch mit bestenfalls kleinen Einschränkungen. Für andere ist die Strategie des Papstes aufgegangen und der offene Bruch wurde verhindert. Dem „jakobinischen“ Flügel der Radikalreformer innerhalb und außerhalb der Synodalversammlung geht alles ganz entschieden nicht weit genug. Für Daniel Bogner zum Beispiel, Moraltheologe in Fribourg/Schweiz und Vordenker der kirchlichen Revolution, sind nur Trippelschritte gegangen worden zur Befreiung des Amtes in der Kirche aus seiner monarchischen Gefangenschaft.

Gregor Podschun, der Vorsitzende des BDKJ, wünscht sich kirchlich so offen die sakramentale „Ehe für Alle“ wie politisch die völlige Altersfreigabe für die Wahl des eigenen Geschlechts. Die auf dem Synodalen Weg beschlossene Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ist ihm deshalb nur ein gerade noch tragfähiger Kompromiss, ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Eine gewonnene Schlacht

Tatsache ist: Dies alles trifft Aspekte einer ziemlich komplizierten Wirklichkeit. Für die, denen es vor allem darum ging, das Projekt des Synodalen Weges unter Wahrung seiner wesentlichen Ziele aber ohne offenen Eklat über die Bühne zu bringen, war der 11. März 2023 in Frankfurt ein vorerst guter Tag. Sie haben die Schlacht mit kleineren Blessuren gewonnen. Nennen wir sie die Institutionalisten. Die Institutionalisten haben durchgebracht, was sie durchbringen wollten. Am Ende mussten sie einige Kompromisse machen. Aber die Substanz ihrer Projekte bleibt: Die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ist beschlossen, damit wird eine längst bestehende Praxis legitimiert und bekommt offiziellen Charakter.

Der Synodale Weg wird verstetigt und damit die Tatsache, dass Bischöfe ihre Verantwortung als Hirten an ein Gremium namens „Synodaler Ausschuss“ abgeben und der Weg der katholischen Kirche in Deutschland zukünftig in diesem merkwürdigen Gebilde geplant und bestimmt werden soll.

Und: Jenseits der Frage, ob und wie Rom auf Änderungswünsche im Blick auf die Sexualethik und Anthropologie des Katechismus reagiert – die neue Sexualmoral und die neue Anthropologie sind längst auf dem Weg der Verwirklichung. Sie sollen und sie werden die kirchliche Landschaft in Deutschland in ihrem „offiziellen“ Teil in Zukunft bestimmen. Auch dieser Vorgang „legalisiert“ Tendenzen, die längst auf dem Weg waren.

Die Strategie des Papstes

Ob indes die Strategie des Papstes aufgegangen ist? Gab es denn eine solche? Wenn es eine solche, vertreten und vollzogen durch seine engsten Mitarbeiter gab, so wie sie sich seit Juli 2022 mit der Erklärung des Hl. Stuhls, über das interdikasterielle Treffen beim Ad limina-Besuch und seinem heftigen Streit, über die Rechtsetzung im Brief vom 16. Januar 2023 bis zum „Grußwort“ des Nuntius (mit dem Charakter einer Gardinenpredigt) bei der Vollversammlung der Bischöfe in Dresden wohl abzeichnete – dann wird man eher bescheiden antworten müssen: Ja, ein wenig.

Nicht aufgegangen ist sie jedenfalls in dem, was der Kardinalstaatssekretär im November so dringend anmahnte: Dass Rom mit seinen lehrmässigen, rechtlichen und das Verfahren betreffenden Bedenken und Einwänden hinsichtlich lehramtlich verschlossener Wege gehört werden will und dass die Bischöfe aus Deutschland selber diese Bedenken und Einwände den Synodalen ernsthaft zu Gehör bringen sollen.

Nein, die Schwerhörigkeit der deutschen Bischöfe war kaum zu durchbrechen. Erst als ihnen der Nuntius in Dresden förmlich direkt ins Ohr gebrüllt hat, haben sie träge reagiert. Aber, ja, immerhin, deshalb konnte ein wichtiger Handlungstext – der über die „Synodalen Räte“ auf Ebene der Diözesen und Pfarreien – nicht abgestimmt werden. Er wäre wohl gescheitert, hätte man es versucht.

Er ist aber lediglich in den stillen Winkel der Ausschussarbeit verschoben worden. Und: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ wird sich mancher gedacht haben…

Wichtiger ist, was dieser Vorgang strategisch anzeigt: Wenn man genügend laut brüllt, dann ist plötzlich eine erhebliche Gruppe von Bischöfen nicht mehr bereit, den Weg in den offenen Ungehorsam zu beschreiten. Das zu beobachten ist wichtig, nicht wenig – und wird sicher in den weiteren römischen Überlegungen eine Rolle spielen: Deutlichkeit und Klarheit ist offensichtlich angesagt.

Aber man wird auf keinen Fall sagen könne, dass die Situation bereinigt ist. Strategie ist nach Clausewitz die Führung der Gefechte zum Zwecke des Krieges. Diese Schlacht jedenfalls ging – dies war aber nicht anders erwartbar – für die Gegner des Synodalen Weges verloren. Aber das Gefecht zeigte eine strategische Dimension, die noch wichtig werden kann: Schon die Debatten und Abstimmungen bei der Vollversammlung der deutschen Bischöfe in Dresden machte offensichtlich, dass die Loyalität gegenüber dem Vorsitzenden Georg Bätzing bröckelt. Wie die Auseinandersetzung ausgeht, ist also völlig offen. Der Sieg der Institutionalisten könnte sich – vielleicht sogar sehr schnell – als Pyrrhussieg erweisen.

Zentrifugale Kräfte

Denn zum einen droht jetzt in der Verstetigung des Synodalen Wegs zugleich eine Radikalisierung. Den Institutionalisten ist es nicht gelungen, die Begehrlichkeiten der Jakobiner einzuhegen und zu befrieden. Sie werden die Morgenluft, die sie gerade spüren, nutzen wollen, um im offenen Prozess der Ausschussarbeit ihre Ideen einer radikalen Neudefinition von dem, was Kirche ist, voranzubringen. Dort fehlt aber jetzt das Gegengewicht der konservativen Stimmen, wie Matthias von Gersdorff richtig bemerkt hat. Sollten diese nämlich nicht an der Arbeit des Synodalen Ausschusses teilnehmen – und der Brief aus Rom stellt klar, dass sie zur Teilnahme nicht verpflichtet sind – kann auch ein Bischof Bätzing die radikalen Forderungen nicht mehr mit dem Hinweis auf konservative Bremser stoppen, er müsste es dann schon persönlich tun.

Andererseits: Kein Bischof kann Gläubige, pastorale und andere Mitarbeiter oder seine Priester zwingen, ihm auf einem Weg zu folgen, der sich außerhalb von Recht und Lehre bewegt. Hier gibt es nicht nur keinerlei Gehorsamspflichten, sondern vielmehr die moralische Pflicht, den Gehorsam zu verweigern. Wenn zum Beispiel der Bischof von Limburg und seine Entourage seine durch Lehre und Lehramt nicht gedeckte Privatmoral seinem Bistum aufzuzwingen versucht – und nichts anderes hat er mit den mittlerweile berühmt-berüchtigten Leitlinien getan – dann hat er nicht nur keinen Anspruch auf Gehorsam, sondern jeder, der ihm Widerstand leistet, ist dabei durch das geltende Recht und die geltende Lehre der Kirche gedeckt.

Kein Bischof, keine Bischofskonferenz und schon gar nicht die Beschlüsse eines ekklesialen Nullum können Lehre und Recht der Kirche in dieser Weise verändern. Sie besitzen dazu theologisch und rechtlich schlicht und ergreifend nicht die Kompetenz. Alles andere ist nur eines: Anmaßung. Wird hier, wie an vielen anderen Stellen, der Versuch gemacht, solche Veränderungen auf kaltem Weg durchzusetzen, dann gilt: Ein solcher Versuch kann zwar mit Repressalien, Druck und schwarzen Listen Wirkung erzielen. Aber in sich ist er null und nichtig und angemessener Widerstand dagegen geboten.

Eines ist allerdings notwendig: Seelische Stärke, Tapferkeit (die Tugend, sich für das Gute verletzen zu lassen), Zähigkeit, um dem Druck standzuhalten. Theologisch und rechtlich hingegen hat jeder Widerständler die besten Karten, jeder Rekurs in Rom die besten Aussichten auf Erfolg.

Tickende Bomben

Einiges spricht dafür, dass man mit der Konstruktion des Synodalen Weges als kirchenrechtliches Nullum von Anfang an intendiert hatte, das Nullum in die „verfassungsgebende Versammlung“ eines deutschen Sonderwegs zu verwandeln. Wer Thomas Sternberg sorgfältig zugehört hat: Er hat diese Absicht nur wenig verborgen. Nun ist der Sonderweg etabliert, aber die Geister, die man rief, wird man nicht einfach wieder los.

Der Synodale Weg hat raue Mengen von hochaktivem spaltbarem Material angehäuft. Die zentrifugalen Kräfte, die eine kritische Reaktion und schließlich eine Explosion auslösen können, sind, wie gesehen, enorm. Aber der gefährlichste Faktor im Spiel der Kräfte für die Frage, ob und wie es in der Kirche in Deutschland schließlich zu einer verheerenden Detonation kommen kann, ist noch gar nicht benannt: Es ist die römische Reaktion, die alles entscheiden wird.

Und hier gilt: Es gibt zwei präzise Sollbruchstellen, an denen geballte Ladungen angebracht sind, die die Situation zur Explosion bringen können. Und diese Bomben ticken noch. Sie wurden bislang nicht entschärft. Diese Bomben sind zusammengesetzt aus römischer Rechtsetzung und deutscher Weigerung zum Rechtsgehorsam. Das ist eine hochbrisante Mischung. Denn sowohl das in keiner Weise aufgegebene Projekt des Synodalen Rates, das nach sachlich völlig richtiger römischer Auffassung die bischöfliche Grundverfassung der Kirche unmittelbar tangiert, als auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare widersprechen direkt und unmittelbar römischer Rechtsetzung.

Denn die Segnung wurde, wie gesagt, beschlossen und Rat und Räte lediglich in den Ausschuss verschoben. In der kommenden Praxis der Segnung der Diözesen, in der offiziellen Erstellung eines entsprechenden liturgischen Texts und in der Konstruktion der Räte auf den verschiedenen Ebenen, schließlich in der Arbeit des Ausschusses, können wir die Bomben ticken hören.

In diesem Licht kann man die Brisanz einschätzen, die es hat, wenn Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin bereits am Montag – unglaublich schnell für römische Verhältnisse – in einem Interview schlicht, klar und gewichtig zu Protokoll gegeben hat, dass es zur Frage der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare eine klare Aussage gebe und keine Ortskirche die Kompetenz habe, eine solche Frage zu entscheiden: Irgendwie scheint das Ticken lauter geworden zu sein…


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.

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