Des Menschen Weg zu Gott in Stephan Urfers grandioser Erzählung „Das Haus im Himmel“

Einer junger Mann macht sich auf, die einzige Frage zu beantworten, die am Ende zählt: Gibt es Gott? Er wird für ein Jahr zum Eremiten auf Zeit. Was ihm widerfährt, hat der schweizerische Pfarrer Stephan Urfer aufgezeichnet. Am Ende ist klar: Gott suchen ist ein existentieller Prozess, der alles verändert. Diese Buchrezension von Martin Brüske eröffnet den Reigen einer neuen Reihe auf unserem Blog: „Lektüren – Neues und Bleibendes für Sie gelesen“

Der Mensch in der Fremde

Exil. Der Mensch ist nicht zuhaus. Nicht bei dem, der ihn gegründet hat. Und deshalb auch nicht bei sich. Wir sind in der Fremde, weil wir Gott und uns selbst fremd sind. Exil: Das ist in Stephan Urfers „Das Haus im Himmel. Erzählung einer Gottessuche“ die Grundsituation des Menschen. Der Ausgangspunkt, seitdem er die ursprüngliche Freundschaft mit sich selbst, mit Mitmensch und Mitgeschöpf, zuerst und zuletzt aber mit Gott verloren hat. Vertriebene aus dem Paradies sind wir – und deshalb Suchende, die die Sehnsucht nach dem Verlorenen treibt. Exil ist in der Tat eines der biblischen Grundmodelle, um über den Menschen nachzudenken: im Ausgang von der Erfahrung Israels, aber im Horizont von Schöpfung und Fall des Menschen im Anfang.

Gott sucht den Menschen

Die aus dem Paradies Vertriebenen sind also sehnsüchtig Suchende. Aber dass sie Gott suchen, ist alles, nur nicht selbstverständlich. Die Angst des Exilanten lässt ihn von sich aus zu den vordergründigen Surrogaten des Glücks greifen. So wie der alte Herr in Urfers Erzählung unter dem Druck der eigenen Vergänglichkeit am Ende auf den zweiten Frühling durch den sibirischen Schamanen hofft. Die Anfangsszene mit diesem Herrn werden Leser und Leserinnen so schnell garantiert nicht wieder vergessen. Mit großer erzählerischer Ökonomie wird hier eine Linie durch die Erzählung gestaltet, die wichtig für das Gleichgewicht des Ganzen ist und dabei einen Zug von groteskem Humor einbringt. Urfers Text handelt von tiefen Fragen – aber Gott sei Dank ist er ganz und gar keine humorfreie Zone.

Wer sucht hier eigentlich wen?

Jedenfalls: Ohne, dass Gott sich aufmacht den Menschen zu suchen, sucht der Exilant Mensch das verlorene Paradies notorisch an der falschen Stelle. Bevor wir Gott suchen ist Gott längst zu uns unterwegs. „Erzählung einer Gottessuche“ lautet der Untertitel in schöner Doppeldeutigkeit: Im Vordergrund des Menschen Suche nach Gott, in der Tiefe Gottes Suche nach dem Menschen. Der Hirt, der die 99 Schafe zurücklässt, um das eine, verirrte zu suchen, ist das biblische Grundbild dafür: Der Gott der Bibel geht den Verirrten, den Desorientierten nach: liebevoll, sanft, niemals gewalttätig, aber mit allen Mitteln jenseits der Gewalt. Eine Reihe traumartig-visionärer Abschnitte vergegenwärtigen diese göttliche Suche in Urfers Erzählung. Die verdichten sich zunehmend. Sie münden in die nurmehr als grandios zu kennzeichnende Schlussvision, mit der das Buch auch insgesamt endet. Jede ist voller Anspielungen und in ihnen liegt der eigentliche Schlüssel zum Buch. Ihre Entschlüsselung sei hier aber nicht vorweggenommen, sondern der Entdeckungsfreude der Leserschaft überlassen.

Keine große Frage wird ausgelassen

Gleichzeitig ist der Text vollgepackt – ohne Überladung indes – mit seriöser Theologie. Nicht allein die Gottesfrage wird angepackt, sondern eigentlich geht es um die Einweisung in das Geheimnis des christlichen Glaubens. Erlösung, Glaube und Wissenschaft, die Frage nach Übel und Leid – keine der großen Fragen wird ausgelassen. Spannend und verständlich werden sie im Lehrgespräch zwischen dem Teilzeiteremiten und dem echten Eremiten, den er schließlich als geistlichen Begleiter, als Starez findet, erörtert.

Theologie in erzählender Form?

Handelt es sich bei Urfers Erzählung also um „Theologie in erzählender Form“? Ja und nein! Ja, selbstverständlich, weil ja wirklich und ernsthaft theologischen Fragen im Rahmen einer Erzählung nachgegangen wird. Nein, weil diese Verbindung innerlich notwendig wird: Literarische Bildfindung, der innerliche, geistliche Prozess der Suche, der nicht theoretisch bleiben kann, die intellektuell ernsthafte Bearbeitung ernster Fragen – das alles gehört innerlich zutiefst und untrennbar zusammen und hat in Urfers Erzählung zur Einheit gefunden. Mit einem Wort darf der Rezensent bekennen: Gerade durch die Kraft der literarischen Gestalt, die Leserinnen und Leser in den Prozess des lebendigen, existentiellen Fragens hineinzieht, ist dieses Buch eine der besten Einführungen in das Geheimnis des christlichen Glaubens, die er seit langem gelesen hat.


Stephan Urfer, Das Haus im Himmel. Erzählung einer Gottessuche, Reinach 2023 (Verlag Riverfield) ISBN 978-3-907459-10-2


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.

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